in Entrepreneur Radar

Wie der Künstlername „Digitalkaufmann“ vermuten lässt, bin ich der Letzte, der Deutschland als „digitale Wüste“ beschimpft und uns am Liebsten eine Silicon-Valley-Kur pur verschreiben will. Das Valley mag ja tonangebend sein. Was man aus der Ferne nicht merkt, sind die gewaltigen sozialen Probleme und die grottenschlechte Lebensqualität. In und um Hamburg haben wir auch ein Unicorn und viele spannende digitale Player dazu, haben aber ebenfalls einen funktionierenden ÖPNV und die allgemeine Krankenversicherungspflicht. Nein, ganz wie das Silicon Valley wollen wir nicht werden. Ja, ich bin hier in der norddeutschen Tiefebene eigentlich ganz zufrieden.

Eigentlich. Denn bei aller Liebe zu unserem Land und bei allem Verständnis dafür, dass wir in Europa nicht einfach alles von den Amerikanern oder den Asiaten kopieren wollen oder können: Im Alltag versucht Deutschland gerade gefühlt alles, mich – und viele andere Bürger – sehr unzufrieden zu machen. Mal ist es die hiesige Verwaltung, die – wie wir in der Corona-Krise alle merken – irgendwo zwischen den Einstellungen „eine Spur zu behäbig“ und „vollends vor der Wirklichkeit kapituliert“ an Faxgeräten festhält und sonst so herrlich bundesrepublikanisch vor sich hinwurstelt. Mal sind es die eklatant hinkende Digitalisierung und der dadurch zum Ausdruck gebrachten Mangel an Kundenfokus deutscher Unternehmen, die einen verzweifeln lassen.

Und weil wir hier in der dritten Welle alle das böse C-Wort nicht mehr hören können, wähle ich heute ein Beispiel aus der Firmenwelt des berühmten deutschen Mittelstands, um zu zeigen, wie wir in diesem Land Tag ein, Tag aus unser eigentlich riesiges Potenzial in den Wind schlagen.

Die Geschichte fängt vor fünf Jahren an, als ich gebaut habe. Immer nur Zukunftsfähigkeit predigen und selber keine neuen Wege gehen? Das konnte es nicht sein. Weshalb ich auch vor der eigenen, noch einzubauenden Tür kehren und mein neues Zuhause smart und energieeffizient betrieben wissen wollte. Als eine sehr vernünftige Lösung dafür wurde mir ein hauseigenes Blockheizkraftwerk angepriesen – eine Anlage also, die zwar Gas verbrennt, dabei aber Strom erzeugt und so den ökologischen Fußabdruck verkleinern sollte. Ich war sofort angetan. Das war ja eine Technologie, die bislang nur bei Stadtwerken und Baugenossenschaften zum Einsatz kam. Und jetzt gab es die für zu Hause? Die technikverliebten Ingenieure des deutschen Mittelstands machten es möglich!

So habe ich mich trotz des leicht schwindelerregenden Preises für ein Mini-Blockheizkraftwerk von Vaillant entschieden. Guter deutscher Maschinenbau – und noch dazu „smarte“ Funktionen wie Internetverbindung? Was will man mehr? Was das nämlich alles später ermöglichen könnte! Vielleicht würde man die Anlage künftig mit einem smarten Stromzähler verbinden und überschüssigen Strom ins Netz abgeben können? Oder in einen bis dahin bestimmt handelsüblich gewordenen E-Flitzer vor der Haustür leiten? Ich sah mich da schon in der Pionierrolle meiner Vorgänger im Ort, die in den frühen 2000ern bauten und dank dem Einspeisegesetzes sogar etwas Geld mit der damals auch nicht günstigen Investition Solarpaneel verdienten. Und für die Zwischenzeit würden die smarten Eigenschaften des BHKW bestimmt zu besserer Fehlererkennung und vernünftigerer, weil vorausschauender Wartung führen…

Fünf Jahre später bin ich ernüchtert – und stehe, fast knöcheltief in ausgelaufenem Kühlwasser, in meinem Keller vor einem Haufen Sondermüll der besonders teuren Sorte. Viele keineswegs smarten sondern starr nach Plan terminierte Wartungen und einige kostspielige – persönlich, von mir am Telefon organisierten – Reparaturen später steht fest: „smart“ und „connected“ war an dieser Anlage nichts.

So stellte sich heraus, dass die Verbindung mit dem Internet eigentlich nur bedeutete, dass man (Betonung auf:) eventuell eine E-Mail bekam, wenn es eine Störung gab. Diesen Störfall hatte man aber meistens schon vor Ankunft der E-Mail bemerkt, da es im Haus etwas kühl geworden war – oder daran, dass das Fehlerlämpchen an der mal wieder persönlich von mir, inzwischen schon fast routinemäßig, inspizierten Anlage blinkte. Fernwartung oder -fehlererkennung? Gar predictive maintenance? Fehlanzeige! Nein: Trotz Meldetechnik aus 2015 musste, ganz wie 1985, die Anlage erst kaputt gehen und wir einige Wochen vor eilends herbeigeschafften Heizelementen ausharren, bis ein Techniker von Vaillant vorbeikam.

Und dieser hatte dann keinen Zugriff auf die möglicherweise für die Fehlerdiagnose und -behebung relevante Daten. Denn diese wurden schlichtweg nicht erfasst. Ja, richtig: Die Anlage wurde als „smart“ verkauft und kann sich mit dem Internet verbinden, kann sich vermutlich ein Instagram-Konto anlegen, nur: Nützliche Daten über den eigenen Betrieb kann sie nicht sammeln. Das könnte ja zu einer Profilierung von unserem Verbrauch führen und sei – hat mir einer am Telefon nach einem verzweifelten Wutausbruch meinerseits erklärt – nicht mit den hierzulande geltenden Vorstellungen vom (ja, ihr ahnt’s schon) Datenschutz vereinbar!

Meiner Vorstellung von Datenschutz entspricht es allerdings auch nicht, das Vaillant mir eine Anlage geliefert hat, die sich mit dem Internet verbinden, mich aber nicht vor den allzu häufigen Störungen mit Daten über Verbrauch, Stillzeiten usw. schützen kann. Das ist das Schlechteste aus beiden Welten: Hacker könnten bei Vaillant eindringen, meine Anschrift samt IP-Adresse meiner Heizung erbeuten – und für dieses Risiko bekomme ich: Nichts.

Schlusspointe: Bei unserem ach so auf Qualität und Langfristigkeit bedachten Mittelständler Vaillant (Website-Banner: „Umweltfreundliche Heizlösungen“ und Hashtag #warumwarten) besteht die vorgeschlagene Lösung in der Verschrottung unseres fünf Jahre alten Blockheizkraftwerk – zusammen mit einem Kostenvoranschlag(!) für ein Neues. Hmm. „Blockheizkraft? Nein danke!“

Wir schreiben also 2021 und ich habe mein „smartes“ Blockheizkraftwerk grade ersetzen lassen, in der stillen Hoffnung es möge irgendwie funktionieren. Ja, soweit hat mich Deutschland, hat mich der deutsche Mittelstand mittlerweile. Ich glaube, als nächstes rufe ich bei Telefunken an: Vielleicht haben die noch ein Faxgerät für mich übrig. 

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Comments
  • Helge Morgenstern

    Hey! Immerhin hast du Internet über das dein „smartes“ Blockheizkraftwerk eventuell eine E-Mail versenden könnte. Ich warte 2 Dörfer weiter seit meinem Umzug im Januar darauf dass die Telekom eine seit 20 Jahren bestehende Leitung „aktiviert“ damit ich überhaupt irgendwann wieder online bin. Ohne Zugang zum Neuland fühlt sich selbst das smarteste Home an wie ne Steinzeithöhle.