Mal wieder rumort es bei den Amazon-Aggregatoren. Nachdem sich Berlin Brands Group letzten Sommer von 100 Mitarbeitern trennen musste und das Urgestein des Segments Thrasio im Herbst Pleite ging, fragen sich jetzt viele, wer da als nächstes keine Chance mehr haben wird. Der Traum, durch Übernahme und Bündelung vieler kleiner Seller auf Amazon es zu einer relevanten Größe und attraktiver Marge zu bringen, scheint endgültig ausgeträumt zu sein.
Regelmäßige Digitalkaufmann-Leser wissen: Diesem Traum hielt ich schon damals für unerfüllbar, als es noch in den Boom-Jahren für möglich gehalten wurde. Und spätestens 2022 musste es klar sein, dass es sich beim Konzept nur um eine Gewächshausblüte handeln konnte, die den kalten Winden der Krisenzeit nicht gewachsen sein würde. Denn nur mit starkem Wachstum auf Amazon gewässert und viel Wagniskapital gedüngt hatte die Aggregatoren-Wette überhaupt eine Chance aufzugehen.
Nun stockt das Wachstum im E-Commerce und selbst Amazon war davon betroffen. Folglich sind Investoren vorsichtig geworden – und zwar derart, dass selbst sehr günstige Einkaufspreise sie nicht mehr hinterm Ofen hervorlocken. Vorbei die aufgeheizten Zeiten, in denen man nur dann Marken akquirieren konnte, wenn man sofort viel Geld auf den Tisch legte und due diligence in den Wind schlug („Wir kaufen innerhalb von 30 Tagen nach Erstgespräch!“, wie es Pleitiers Brands United einst ankündigten…). Ja, man könnte nun in diesem Käufermarkt richtiggehend auf Einkaufstour gehen, aber mögliche Kapitalgeber bleiben lieber auf ihrem Geld sitzen, als Aggregatoren einen erneuten Kaufrausch der Kleinhändler zu finanzieren.
Allein deshalb ist trotz der in solchen Situationen obligatorischen ‚Sanierungspläne‘ und ‚Turnaround-Versuche‘ nichts mehr von den Aggregatoren erwarten. Zumal es zwei weitere triftige Einwände gibt, die unabhängig von der jeweiligen Marktstimmung gegen das Konzept sprechen.
„Operational excellence“: Fehlanzeige
Erstens hat sich die oft beschworene „operative Exzellenz“ der Aggregatoren als genau die Mär entpuppt, für die ich sie nach näherer Inaugenscheinnahme mehrerer im Segment schon länger hielt. Die Logik der Bündelung hörte sich zwar erst einmal bestechend an: ‚Als große Digitalfirma voller Profis, die den lieben Tag lang nichts anderes machen, als Marken nach allen Regeln der Kunst auf Amazon hochzupushen, haben wir bessere Chancen, das Beste aus ihnen auf der Plattform herauszuholen…‘ So ging die Darstellung für Investoren.
Wie sich aber schnell zeigte, lag das wirkliche Wissen darum, wie man auf Amazon erfolgreich ist, oft eher bei den aufgekauften Marken, nicht bei den Aggregatoren. Einkauf, Operatives, Kundentreue-Tricks und Ranking-Kniffe: Im Lagerhausbüro in Castrop-Rauxel verstand man oft intuitiv mehr davon als in den schicken Räumlichkeiten in Berlin-Mitte. Noch schlimmer: Einige der Aggregatoren waren bloße Trittbrettfahrer, die hier nicht einmal über eigene Expertise verfügten und auch diese mit viel Geld einkaufen mussten. Und selbst bei Thrasio oder Berlin Brands Group, die zum Teil von echtem Können Beweis machten, war man nicht so viel schlauer als der Durchschnitt – und die erhoffte Wirkung versprochener datenbasierter automatisierter Ansätze glänzte mit Abwesenheit.
Auf Amazon aufbauen: Abhängigkeitsfalle
Zweitens hat man mit dem Modell Aggregator ein elementares strategisches Problem. Letztendlich ist Amazon ein machtvoller Monopolist, der die Regeln auf der eigenen Plattform erfindet und durchsetzt – zum eigenen Vorteil. Wessen Geschäftsmodell also nur auf Amazon aufgebaut ist, lebt gefährlich. Denn Seattle ist kein neutraler Marktplatzbetreiber, sondern ein Megakonzern der – übrigens für eine Aktiengesellschaft vollkommen nachvollziehbarerweise – seine Stärken zum eigenen kommerziellen Vorteil auszuspielen versucht.
So werden, jetzt, da sich Amazon rund die Hälfte des Volumens im E-Commerce gesichert hat, die einst für Kunden und Verkäufer so attraktive Bedingungen sukzessive zugunsten der Monetarisierung verschärft: Seller kriegen höhere FBA-Kosten aufgedrückt und müssen auf einmal Werbebudget in die Hand nehmen, um bloß die Position im Ranking zu halten, die sie einst mit organischer Optimierung erreichten. Da kann ein Thrasio oder ein BBG so viel Erfahrung in der Disziplin Amazon-SEO mitbringen, wie sie wollen: Amazon wird sie in Richtung SEA drängen und sich so ihre Marge einzuverleiben versuchen.
Wer diese Darstellung für übertrieben hält, sollte Prime-Kunden fragen. Früher blieben sie von Werbung verschont, weil sie ja Amazon einen jährlichen Mitgliedsbeitrag überließen. Mittlerweile werden aber auch sie mit Anzeigen und Sponsored-Listings traktiert – bloß nicht mehr so viel von Marken, die Thrasio oder Berlin Brands Group gehören…