Nein, das „Ladensterben“ in den deutschen Innenstädten ist nicht primär eine umkehrbare Folge von Corona, sondern das Ergebnis eines tiefgreifenden Strukturwandels hin zum Onlineshopping. Zugleich zeigt sich eine große Chance für die Zukunft: Dort, wo Läden schließen, können neue Ideen für Gastronomie, Wohnen und Freizeitangebote entstehen.
Seit Jahren verschwindet ein Geschäft nach dem anderen aus den deutschen Innenstädten. Nach Berechnung des Handelsverbandes HDE schlossen über die vergangenen 10 Jahre hinweg im Schnitt rund 6.600 Läden pro Jahr. Dass das nicht erst seit Corona so ist, zeigt ein Blick auf die langfristige Entwicklung: Selbst in Städten, in denen die Besucherzahlen zuletzt wieder anziehen, zeigt sich ein struktureller Rückgang der Geschäfte vor Ort. Der Hauptgrund ist dabei weniger eine kurzfristige Pandemie-Folge, sondern vielmehr ein deutlich verändertes Konsumverhalten: Die Menschen haben sich längst an das Einkaufen im Netz gewöhnt, Onlineshopping wird zum Standard. Dieser Wandel – in Form von Filialschließungen und Insolvenzen – wird sich weiter fortsetzen.
Alte Innenstadtkonzepte funktionieren nicht mehr
Das klassische Bild einer Innenstadt als „Shopping-Paradies“ verblasst immer mehr. Die Kundschaft findet ihre Lieblingsprodukte inzwischen online, vergleicht Preise und spart sich Wege. Dadurch entzieht sich vielen stationären Läden die wirtschaftliche Grundlage – es entsteht ein Teufelskreis: Weniger Geschäfte bedeuten weniger Anreiz für Kundinnen und Kunden, überhaupt noch in die Innenstadt zu kommen. Der Umsatz der verbleibenden Läden sinkt weiter, was zu neuen Schließungen führt.
Manche Händler versuchen mit rabattengetriebenen „Discount-Feuerwerken“ ihr Lager zu leeren. Kurzfristig mögen reduzierte Preise die Kundschaft erfreuen, doch häufig steckt dahinter ein Abverkauf kurz vor der Insolvenz. „Das toxische Klima“, wie es manche Branchenkenner nennen, zeigt: Der Markt bereinigt sich. Dies bedeutet zwar auf der einen Seite günstigere Angebote, aber auch die Gefahr von immer mehr Insolvenzen sowie von höherer Arbeitslosigkeit, weniger Kaufkraft und letztlich steigende Preise, sobald sich der Markt konsolidiert hat.
„Retail for Rent“ – von B- und C-Lagen zum Wohnraum
Da die Verlagerung zum Onlinehandel ungebremst weitergeht, stellt sich die Frage, wie sich stationäre Flächen in den deutschen Städten künftig nutzen lassen. A-Lagen in Top-Städten dürften erhalten bleiben, weil dort Frequenz, Tourismus und/oder Kaufkraft hoch genug sind, um Retailflächen weiterhin zu rechtfertigen. Diese müssen sich jedoch zu echten Erlebniswelten entwickeln – etwa nach dem Vorbild von Karls Erdbeerhof, der mit Entertainment, Kinderbetreuung und Shopping auf der Fläche kombiniert und gleichzeitig auf E-Commerce setzt.
In vielen anderen Regionen hingegen sollte aus leerstehenden Läden zunehmend Wohnraum entstehen – damit würde direkt die Lücke auf dem Wohnungsmarkt geschlossen! – oder aber es kommen neue Konzepte für Gastronomie und Freizeit in die Innenstädte. Denn was die Konsumentinnen und Konsumenten im stationären Handel suchen, ist nicht bloß der Erwerb von Produkten: Sie wollen Erlebnisse. Deswegen sollten Händler ihre Läden eher als Eventlocations verstehen, statt als reine Verkaufsflächen.
Strategiewechsel bei Amazon und Alibaba: ein Blick in die Zukunft
Auch große E-Commerce-Konzerne haben erkannt, dass der Mix aus Online und stationärem Handel schwieriger ist als gedacht. So hat Amazon mit seinen „Amazon Fresh“-Filialen nie den erhofften Durchbruch erzielt und auch hierzulande Standorte zurückgefahren. Der Stationärhandel-Kaufrausch im Zuge einer „Omnichannel-Offensive“ scheint vorerst abgeflaut.
Noch deutlicher wird das am Beispiel Alibaba: Der chinesische Gigant hat in kurzer Zeit zwei große stationäre Beteiligungen wieder abgestoßen – Sun Art Retail und Intime Retail Group. Beide Transaktionen brachten Alibaba zwar frisches Kapital, bedeuten aber auch große Verluste. Gleichzeitig zeigt sich so ein Strategiewechsel: Nachdem Alibaba ursprünglich sein „New Retail“-Konzept (Online und Offline) vorantreiben wollte, konzentriert sich das Unternehmen nun wieder stärker auf das reine E-Commerce-Geschäft.
Diese Entwicklung illustriert eindrucksvoll, dass das richtige Zusammenspiel von Online und Offline kein Selbstläufer ist. Wenn selbst die Großkonzerne beim Thema stationärer Handel zurückrudern, ist das ein Fingerzeig für die hiesige Branche.
Die Zukunft der Innenstädte: Lebensräume statt Shoppingmeilen
All diese Entwicklungen lassen sich unter einen zentralen Gedanken zusammenfassen: Handel ist Wandel. Stationäre Läden, wie wir sie aus den „Glanzzeiten“ kannten, werden in der Masse nicht zurückkommen. Die Menschen haben längst gelernt, anders zu konsumieren. Mit einem Klick bestellen sie online, lassen sich Waren nach Hause liefern und vergleichen Preise weltweit.
Was Innenstädte jedoch weiterhin attraktiv machen kann, ist die Entwicklung hin zu Lebensräumen, in denen Einkaufen nur noch ein – wenn auch wichtiges – Element von vielen ist. Wo Kultur, Gastronomie, Wohnen, Arbeiten und Freizeitangebote sich mischen und damit neue Frequenzbringer entstehen. Während A-Lagen für Retail, Entertainment und Gastronomie erhalten bleiben, werden leer stehende Flächen in B- und C-Lagen verstärkt zu Wohnungen oder zu Orten für neue Geschäftsideen umgewandelt.
Handel ist Wandel – wer das erkennt und sich anpasst, kann das Potenzial der Innenstädte als ganzheitliche Lebensräume heben und zugleich vom Boom des E-Commerce profitieren.
Damit diese Transformation gelingt, braucht es einen Schulterschluss zwischen Kommunen, Immobilienbesitzern und Investoren sowie kreativen Konzepten von Händlerseite. Nur so können aus sterbenden Einkaufsstraßen wieder lebendige Quartiere werden.