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Während Corona als Katalysator die Digitalisierung beschleunigt, zeichnet sich ein bedenklicher Trend ab: Das Auseinanderklaffen zwischen mittlerweile allgegenwärtigen digitalen Konzepten einerseits und dem hartnäckig geringem Grad der Digitalisierung in Deutschland andererseits. In der Politik spricht man hier von einem Vollzugsdefizit: Dieses beschreibt, wie es sein kann, dass es seit März 2020 rund einmal die Woche ein neues, von im Regierungsauftrag tätigen Wissenschaftlern erarbeitetes Konzept gibt, wie man der Pandemie mit flächendeckenden Schnelltests, digitalen Echtzeitmeldungen und höchstens hyperlokalen Schließungen Herr werden kann, wir aber faktisch noch mit den größten Einschränkungen der Grundrechte und der Geschäftsfreiheit seit dem Zweiten Weltkrieg leben. Oder – eine Nummer kleiner – warum schon im Herbst ein digitales Einreiseformular livegeschaltet wurde, von dem kaum ein Einreisender je etwas erfährt und dessen Ausfüllung selten bis gar nicht kontrolliert wird.

Diagnose: „Umsetzungsschwäche“

Bei vielen Unternehmen, die wir bei Etribes beraten, ist die Lage strukturell ähnlich. Auch sie haben keinen Mangel mehr an – oft sehr schlüssigen – digitalen Konzepten. Entgegen allen Vorurteilen ist es weder in der Deutschland AG noch beim Mittelstand so, dass zigarrenrauchende Manager des alten Schlages am Werk sind, die der Meinung sind, dass sich „dieses Internet“ nicht durchsetzen werde. Das war höchstens vor zehn Jahren noch der Fall. Ganz im Gegenteil: Schon vor Corona hatten die meisten in den Chefetagen hierzulande den Braten gerochen. Seit den Einschränkungen im Frühjahr ist nun auch wirklich dem Allerletzten klar, dass der Kontakt zu Kunden zumindest zum Teil online abzubilden ist – auch, beziehungsweise gerade, in B2B-Branchen. Die Gremien zum Thema „Digitalstrategie“ haben mittlerweile schon öfter getagt, interne Positionspapiere und Pläne liegen vor. Nur umgesetzt – oder: erfolgreich umgesetzt – ist davon vielerorts leider wenig. Der Politik  „Vollzugsdefizit“ ist der Wirtschaft  „Umsetzungsschwäche“.

Das ist nicht nur unser Befund. Schätzungsweise 70% aller digitalen Transformationsprojekte scheitern in der Umsetzung, wie ehemaliger IT-Vorstand von Proctor & Gamble Tony Saldanha überzeugend dargestellt hat. Warum das im Einzelfall so ist, hängt unserer Erfahrung nach vom betroffenen Unternehmen ab. Die üblichen Verdächtigen sind jedenfalls schnell ausgemacht: Fehlende operative Kompetenzen im Bereich E-Commerce und Online-Marketing, die zu einer hohen Abhängigkeit von externen Dienstleistern führen, was wiederum den Aufbau dieser eigenen Kompetenzen blockiert, sowie unrealistisch niedrige Budgetvorstellungen im Finanzwesen und/oder die penible Einhaltung verschiedenster Richtlinien für die Freigabe von Mitteln, die ein dynamisches Vorgehen verhindern. Die typischen „Legacy“-Beschwerden also. Wir sehen aber auch Fälle, wo es weder an Geld noch an internen Vorgaben scheitert – und wo digitales Wissen mehr als nur im Ansatz vorhanden ist –, wo aber das eigentliche digitale Konzept am Marktbedarf vorbei- oder schlichtweg nicht aufgeht.

Digitalisierung: Erfolgsfaktor Organisationskultur

Ein übergreifender Faktor, auf den wir mittlerweile viele Probleme in der Umsetzung zurückführen: Die Schnittstelle Mensch-Organisationskultur. Unbestritten ist, dass digitale Transformationen vollkommen von digitalen Talenten abhängen. An der Infrastruktur – etwa Serverkapazität oder Analyse-Tools – mangelt es nicht. Die ist schnell eingekauft. Es handelt sich ja nicht um den Aufbau einer Präzisionsproduktionsanlage, bei der die Beschaffung kritischer Einzelteile über Monate hinweg Thema sein kann. Nein, hier machen die Köpfe den Unterschied. Und um die richtigen Köpfe in ein Unternehmen reinzubekommen und in einem Unternehmen Wirkung erzeugen zu lassen, muss die Organisationskultur passen. Tut sie das nicht, laufen die für die digitale Transformation teuer eingekauften Digital-Talente vor Ende der Probezeit wieder davon und nehmen schlimmstenfalls auch noch die ehrgeizigen internen Team-Mitglieder mit, die noch dreißig Jahre bis zur Rente haben und sich daher auf die eigene Zukunftsfähigkeit und die des Arbeitgebers bedacht sind. 

Bei Etribes lautet unser Lösungsvorschlag für eine solche Umsetzungsschwäche immer öfter „Digital Unit“. Darunter verstehen wir vom Kerngeschäft getrennte „interne Ausgründungen“, um – zunächst in einzelnen Projekten oder durch eine klar definierte Initiative – die Digitalisierung so voranzubringen, dass digitale Talente nicht frustriert und (noch wichtiger) schnelle Ergebnisse sichtbar werden. Sie preschen als „Schnellboote“ vor, weil ein größeres Unternehmen eben ein „Tanker“ ist, den man nicht allzu schnell umsteuern kann (und auch nicht so umzusteuern versuchen sollte; Konzernvorgaben und -richtlinien sind selten ganz ohne Grund etabliert). Später, wenn das Schnellboot ein gangbaren Kurs navigiert hat, kann es wieder andocken und als Lotse den Tanker in die richtige Richtung leiten.

„Digital Units“ sind Umsatzbringer

Die Vorteile von so einer Art interner Ausgründung liegen auf der Hand: Mit ihnen ist eine Dynamik zu erreichen, die völlig zurecht nicht in etablierten Strukturen zu haben ist. In einigen Projekten, die wir bei Etribes begleitet haben, messen wir den Aufbau der Unit und die Umsetzung von digitalen Strategien in Kalenderwochen, während sich die Gesamtorganisation höchstens im Quartalsrhythmus steuern lässt  – was unter anderem daran liegt, dass wir unsere Experten auf Zeit als Interim-Leiter einsetzen. Einigen Unternehmen ist die Idee eines solchen „Söldners“ mit einer eigenen „internen Truppe“ erst einmal suspekt. Doch die Ergebnisse sprechen dann für sich. Mir fällt sofort ein: Ein Großkunde in der Logistikbranche (Standort Hamburg, Umsatz niedrig-elfstellig), der nach unserem Interim-Einsatz in einer Inkubationseinheit ein Booking-Tool für den Container-Transport auf die Straße bekam, über das er bereits ein Jahr später eine Milliarde Euro Umsatz machte. Oder ein Kunde in der Verbindungstechnik, mit dem wir binnen Monaten eine ganze Digital-Commerce-Abteilung aufgebaut und in vier Ländern ausgerollt haben. Oder eine Brauerei, die wegen der Schließung der Gastronomie 2020 rund 6% des Umsatzes einbüßte und mit der wir nun auf Hochdruck in einer kleinen Einheit an digitalen Lösungen arbeiten…

Ja, bei Etribes haben wir der Umsetzungsschwäche in Sachen Digitalisierung schon lange vor der Coronakrise den Kampf angesagt – und gehen in der Krise jetzt verstärkt gegen sie vor. Und ja: Wir wären auch für Anfragen aus der Politik offen!

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