Dem Erfolgsrezept von Amazon auf der Spur
Die Amazon-Aktie steigt dieser Tage stetig. Auch morgen wird der US-Konzern aus Seattle weiter wachsen. Alles nur Schall und Rauch oder welche Wunderformel verbirgt sich hinter dem Erfolg? Der angeblich von Jeff Bezos auf einer Serviette skizzierte Circle of Growth hat es bereits zu Bekanntheit gebracht. Doch wie übersetzt Amazon diese Strategie in Maßnahmen?
Die Amazon-Aktie ist überbewertet und verspricht langfristig keine attraktive Anlage zu sein, sagen kritische Stimmen wie der Portfolio-Manager Robert Naess von der skandinavischen Nordea Bank. Aus meiner Sicht gibt es gute Gründe, wieso Amazon weiter wachsen wird und weshalb es sich nach wie vor lohnt, Amazon Aktien zu halten. Jeff Bezos bezeichnet Amazons Mission damit, das am stärksten kundenzentrierte Unternehmen der Welt zu sein. Hinter diesem Leitsatz verbirgt sich mehr als nur heiße Luft. Amazon hat einen Kreislauf bestehend aus fünf Elementen geschaffen, der sich dem kontinuierlichen Ausbau von Wachstum und Kundenorientierung verschrieben hat. Dieser Kreislauf besteht aus den Elementen Angebot, Service, Technologie, Daten und Anpassungsgeschwindigkeit. Wie Amazon aus diesen Zutaten einen richtig guten Cocktail mixt, nehmen wir im Folgenden unter die Lupe.
Angebot
Das Angebot von Amazon wird schon längst nicht mehr nur durch die Größe des auf der Plattform verfügbaren Produktsortimentes bestimmt. Amazon Video, Amazon Musik, Amazon Web Services und Alexa sind nur einige wenige von vielen Formaten und Sparten, die das Angebot des Online-Giganten ausweiten. Damit stärkt der Konzern seine Präsenz bei der Käuferschaft und dadurch auch seine Macht.
Im Sinne der Kundenzentrierung ist Amazon stets bestrebt, klassische Denkmuster zu durchbrechen. In den USA ergänzt Amazon sein Online-Angebot bereits durch stationäre Filialen und innovative Formate wie Amazon Go, ein kassenloser Supermarkt, den es bald auch in London und Paris geben soll. Auch in Deutschland soll es zeitnah stationäre Konzepte geben, um die Einkaufsvielfalt in der Amazon-Welt zu erweitern. Das sorgt beim Einzelhandel für noch mehr Kopfschmerzen, als Amazon der Offline-Welt ohnehin bereits bereitet.
Mit Amazon Business bewegt sich das Amazon-Angebot sowohl Produkt- als auch Service-seitig in ganz neue Dimensionen. Das Absatzpotential im B2B lässt alle verbleibenden Wachstumsmöglichkeiten im B2C wie einen Kindergeburtstag aussehen. Prognosen zufolge wird der B2B E-Commerce in den USA in 2020 die 1 Trillion-Marke knacken. Das Angebot für Unternehmen wächst täglich, genau wie die Anzahl der Business-Kunden.
Die Plattform Amazon ist quasi alternativlos. Marken haben nur begrenzt Möglichkeiten zu rebellieren. Dies unterstrich Amazon jüngst erneut am Schuhhersteller Birkenstock, der im Dezember 2017 die Zusammenarbeit mit Amazon beendete. Während Birkenstock Amazon medienwirksam unter anderem als Mittäter bei Plagiatverkäufen bezeichnet, kommentiert Amazon das Ende der Partnerschaft nicht einmal. Für Amazon zählt nur der Kundenzugang. Den stellen unabhängig von einer direkten Kooperation der Marken die Marktplatz-Händler sicher. Zudem setzt Amazon im B2C verstärkt auf Handelsmarken aus dem eigenen Haus. Produktreihen wie Amazon Basics oder die im Herbst 2017 gelaunchte Fashion-Marke Find stellen für Amazon die Möglichkeit dar, die Profitabilität weiter zu steigern. Dank der zur Verfügung stehenden Datenbasis aus dem Marktplatz- und Direktgeschäft ist Amazon bestens aufgestellt, um profitable Kategorien und Produkte zu identifizieren.
Fazit: Weltweit gibt es kaum ein vergleichbares Angebot wie das, was von Amazon direkt oder indirekt angeboten wird. Damit sichert sich Amazon den Spitzenplatz bei den Verbrauchern und zukünftig vermutlich auch bei den Unternehmen. Dafür spricht auch, dass laut einer Statista-Umfrage aus dem Mai 2017 bereits 96% aller erwachsenen Deutschen bei dem Online-Riesen bestellt haben.
Daten
Amazon weiß, wer was wann kaufen möchte. Und oft sogar besser als der Konsument selbst. Researcher Scott Galloway prophezeit bereits Amazon Prime Squared: Ein Service, der Kunden wöchentlich eine Box mit Produkten zusendet, die der Konsument nie bestellt hat, aber auf Basis des bisherigen Such- und Kaufverhaltens benötigen könnte. Die nicht gewünschten Artikel werden dann ganz einfach zurück gesendet. Auch wenn Amazon dieses Konzept offiziell nicht plant, würden die zur Verfügung stehenden Daten diese bereits ermöglichen.
Amazon ist Meister in der Kommerzialisierung von Potentialen. Die Basis dafür stellen weltweit circa 304 Millionen aktive User (Stand: 2015) zur Verfügung. Ein Resultat dieses Umwandlungsprozesses ist beispielsweise der Display-Advertising-Dienst Amazon-Advertising-Platform (AAP). AAP vereint den Datenschatz voller Kundenaktivitäten mit Display-Kampagnen und bildet daraus ein starkes Marketing-Tool.
Es lässt sich nur mutmaßen, welche Unmengen an Daten Amazon hortet und weiter verarbeitet. Fakt ist, dass die von Amazon gesammelte Daten eine hohe Aussagekraft über das Kaufverhalten der Kunden haben und ein besonders gezieltes Targeting zulassen. Das macht sie für Werbetreibende häufig interessanter als die Datenpakete von Facebook oder Google. Mit dem Sprachassistent Alexa ist es Amazon nun möglich, Daten noch näher am Kunden zu sammeln.
Fazit: Amazon versteht es Daten in Geld umzuwandeln. Die gezielte Vermarktung von Big Data beschert Amazon eine profitable Einnahmequelle. Durch den Einsatz der Daten zur kundenorientierten Weiterentwicklung des Angebotes, sichert sich das Unternehmen einen zentralen Platz im Leben von Verbrauchern und Betrieben.
Service
Mit den von Amazon angebotene Service-Prozessen kann kaum ein anderes Unternehmen mithalten. An der Spitze steht das Amazon Prime-Programm, das Abonnenten eine schnelle und kostenfreie Lieferung garantiert und gleichzeitig mit Zusatzleistungen wie Video- und Musik-Streamingdiensten bedient.
Mit Prime Business eröffnet Amazon nun auch den Service-Wettkampf im B2B. Gerade in der C-Teile-Beschaffung konnten Anbieter lange durch hohe Versandkosten und Mindermengen-Zuschläge Zusatzgewinne einfahren. Amazon schafft hier eine neue Transparenz und erhöht den Veränderungsdruck auf etablierte Anbieter.
Amazon-Dienstleistungen durchdringen die gesamte Wertschöpfungskette. Von der Zahlungsabwicklung über Amazon Pay bis zur Lieferung durch private Zusteller über Amazon Flex. Mit Amazon Key bietet die Plattform nun auch eine Problemlösung für ein altbekanntes Problem im E-Commerce: Eine Smart Home-Kombination aus Türschloss, Kamera und App, die es verifizierten Lieferdiensten ermöglicht ein Paket auch bei Abwesenheit des Empfängers zuzustellen.
Fazit: Prime definiert den Standard im Service-Sektor. Ergänzt durch innovative Technologien und Dienstleistungen, sichert sich Amazon die Führung. Zukünftig wird Amazon weitere Prozessschritte insourcen und damit den eigenen Einfluss weiter ausbauen.
Technologie
Es gibt sicherlich Websiten, die mit einer besseren User Experience aufwarten als Amazon. Doch durch die intuitive Navigationsführung, die Größe des Sortimentes und bereits gesammelte Daten, versteht es Amazon dennoch erfolgreich sich als Nummer 1 in der Gunst der Kunden zu behaupten. Doch die etwas verstaubt anmutende Website täuscht. Amazon hat das Ende der Desktop-Era längst erkannt. Die Weiterentwickung der Website wird im notwendigen Maße durchgeführt. Amazon setzt stattdessen stark auf die Vorreiterrolle bei Zukunftstechnologien wie Voice Commerce.
Amazon ist ein Technologieunternehmen und investiert in vielen Bereichen in Forschung und Entwicklung. In 2017 führte Amazon mit Forschungsausgaben in Höhe von 16,1 Milliarden bereits die Top 20 der forschenden Unternehmen an. Die hauseigene Entwicklungsschmiede Lab126 schuf unter anderem den Kindl, das Fire Phone sowie den Echo.[4] Und in Deutschland wird Amazon ein Forschungszentrum für künstliche Intelligenz in Tübingen eröffnen.
Fazit: Amazon investiert vielseitig in Forschungsprojekte. Durch die eigene Marktposition hat Amazon zudem eine optimale Ausgangslage um neue Technologien zu vermarkten. Alexa und die Echo-Serie beweisen mit welcher Geschwindigkeit Amazon neuerdings Neuheiten etablieren kann.
Anpassungsgeschwindigkeit
Mit einer großen Dynamik pusht Amazon die zielgerichtete Weiterentwicklung des globalen E-Commerce. Dabei hält Amazon nicht zurück mit Beta-Versionen und entwickelt seine Angebote und Produkte auch gerne gemeinsam mit den Kunden zur Marktreife. Aktuelles Beispiel ist das Amazon Custom-Programm, welches für den B2B-Arm von höchstem Interesse ist. Custom wird aktuell auf der B2C-Plattform live getestet und in diesem Zug für den eigentlich relevanten Markt in Amazon Business vorbereitet.
Und die Entwicklungsgeschwindigkeit ist beachtlich, betrachtet man beispielsweise den Echo: Die erste Generation des Echos wurde im Juni 2015 auf dem US-Markt gelauncht, im März 2016 folgte die Miniaturversion namens Echo Dot. Im April 2017 folgte der Echo Look, welcher den Funktionsumfang um Videos erweitert. Die neueste Erweiterung aus dem Oktober 2017, der Echo Plus, fungiert zudem als Smart Home-Hub. Bei der großen Schwämme an Neuerungen bleibt das ein oder andere Konzept auch mal auf der Strecke. Amazon fackelt bei schlechten Wachstumsraten nicht lange und widmet seine Aufmerksamkeit neuen Projekten. Der Shoppingclub BuyVIP und das Fire Phone wurden wegen dem ausbleibendem Erfolg eingestellt. Doch die Schublade mit neuen Konzepten ist bei Amazon prall gefüllt.
Neben den Kunden profitiert insbesondere Amazon selbst von der hohen Entwicklungsgeschwindigkeit. Durch stetige Weiterentwicklungen bietet Amazon Leistungen und Produkten, die in regelmäßigen Abständen erneuert werden müssen und als alleinigem Anbieter Amazon weiteres Wachstum garantieren.
Fazit: Schon die Entwicklungsbreite und -tiefe heben die Forschungsaktivitäten von Amazon von anderen Mitbewerbern ab. Ergänzt um die Geschwindigkeit und den passenden Kanal, um diese Entwicklungen auch zu vermarkten, gewinnt Amazon auf ganzer Linie.
Das Erfolgsrezept
“Day 2 is stasis. Followed by irrelevance. Followed by excruciating, painful decline. Followed by death. And that is why it is always Day 1.”, schrieb Jeff Bezos in seinem 2016 Letter to Shareholders. Diese Day One-Mentalität prägt den Wachstumskreiselauf von Amazon. Dank dieser fünf Elemente schaffen es Bezos und sein Team sich erfolgreich ständig neu zu erfinden – fernab von allen Stigma. Amazon beherrscht die Fähigkeit, bestehende Geschäftsbereiche zu verbinden und neue zu erschließen, um diese Symbiosen gezielt für nachhaltiges Wachstum zu nutzen.
Kommen wir zurück zu Robert Naess aus der Einleitung, der die Amazon-Aktie für überbewertet hält. Die oben vorgestellten Elemente werden Amazon weiterhin neue Erfolge und Wachstumsrekorde sichern. Und es ist zu erwarten, dass die Börse dieses Wachstum spiegeln wird. Bezos wird auch in Zukunft den Kunden in den Mittelpunkt aller Unternehmensentscheidungen stellen und damit für ein sattelfest aufgestelltes Portfolio sorgen. Die US-Bank Morgan Stanley teilt diese Ansicht und sagt voraus, dass Amazon dank der Vielzahl seiner hoch-profitablen Unternehmensbereiche bereits 2018 zum ersten Trillionen-Unternehmen wird.
Der einfache wie geniale Growth-Cyyle ist unantastbar geworden, Amazon wird weiter wachsen und damit alles und jeden in seinen Bann ziehen. Das einzige, was Amazon meiner Meinung nach auf absehbare Zeit gefährden kann, ist das amerikanische Kartellamt. Sollten die bei Amazon-Lieferanten bestens bekannten Daumenschrauben irgendwann aus unerfindlichen Gründen auch beim Endkunden angelegt werden, sind sicherlich diverse regulierende Stellen prompt zur Stelle, den (O-Ton Scott Galloway) „Darth Vader“ aufzubrechen und die immense Marktmacht zu regulieren.