in Entrepreneur Radar

Eine Bilanz-PK ohne Zukunftsvision, halbgare Informationen zu Kennzahlen, stattdessen ein minutenlanges Statement über Moore. Deren Wert für unsere Zukunft steht außer Frage – aber im Fall vom Onlineshop Otto.de dienen sie sinnbildlich nur als wackelige Basis eines unzeitgemäßen Geschäftsmodells.

Ich sehe derzeit keinen Grund, warum es Otto in Zukunft noch geben sollte. Auf der Bilanz-Pressekonferenz des Onlineshops Otto.de (nicht also der Otto Group als Ganzes) am 26. März 2025 wurde zum Kampf gegen andere Anbieter wie Amazon, Temu und Shein geblasen: Man wolle (weiter) durch Nachhaltigkeit bei den Konsumenten punkten.

Aber so, wie Otto sich gerade entwickelt, sehe ich keinen Weg, der nachhaltig in die Zukunft führt. Das habe ich auch im Gespräch mit der FAZ betont.

„Too Little, Too Late“

Ein Sparprogramm von 80 Millionen Euro, wenn nach Zinsen mal eben (wie etwa 2024) über 400 Millionen Euro Verlust im Raum stehen? Das ist Augenwischerei – oder wie man so schön auf Englisch sagt: „Too little, too late!“ 

Was mich wirklich irritiert: Otto sonnt sich in einem 9-%-Zuwachs beim Marktplatz-GMV, aber es bleibt völlig unklar, ob das Geschäft unterm Strich bzw. nach Zinsen überhaupt profitabel ist. Wenn man sich ernsthaft mit Amazon & Co. messen will (oder auch nur einen Hauch von Differenzierung anpeilt), sind schwammige Nachhaltigkeits-Claims, ein paar Marketingfloskeln und der Verweis auf „Qualität & Service“ viel zu wenig. Ich glaube nicht, dass Otto sich von Amazon in Sachen Nachhaltigkeit wirklich abheben kann, wenn Amazon gleichzeitig massiv in eigene, grüne Lieferflotten investiert.

Wenn Nachhaltigkeit zum Feigenblatt wird

Bei einer Bilanz-PK 10 Minuten über die Rolle von Mooren zu sprechen, stärkt jedenfalls nicht den Glauben an eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens. Natürlich ist das Thema Umweltschutz wichtig, aber allein damit lässt sich kein profitables Geschäftsmodell sichern – das zeigt auch die maue Begeisterung vieler Kunden, wenn Preise steigen. 

Der größte Fehler: Der Verkauf von About You

Otto hat About You für einen Bruchteil des IPO-Preises abgegeben, ohne neue Impulse für die Entwicklung des Konzerns zu setzen. Damit ist das einzige echte Innovationsprojekt weg. Stattdessen werden veraltete Projekte reanimiert, oder man tut so, als sei das Schließen von unprofitablen Callcentern plötzlich „Innovation“ (10 Jahre zu spät!). Die Schließung wurde beschlossen, nachdem nur noch 1 % des Umsatzes darüber lief. Ein Eingeständnis von schwachem Management, wenn wirklich bis zum letzten Moment gewartet wird. Das ist rückwärtsgewandtes Handeln und kein neuer Innovationsansatz. Apropos: Dass Otto nun den alten „Otto… find’ ich gut“-Claim wieder ausgräbt, unterstreicht nur, wie sehr das Unternehmen am Alten hängt.

Widersprüchliche Händlerpolitik

Noch unverständlicher finde ich die Händlerpolitik: Erst tausendmal „Wir sind der faire Partner“ kommunizieren, dann kommen Provisionsschrauben und massenweise Kündigungen – oft ohne klare Gründe. Ja, Härte ist im Marktplatzgeschäft normal. Nur sollte man dann nicht so tun, als wäre man der Heilige. Und: Wenn Händler schon von selbst gehen, sagt das viel über die Attraktivität der Plattform aus.

Zeit für einen radikalen Schnitt

Otto braucht einen radikalen Schnitt in der Führungsriege, aber vor allem klare Aussagen der Gesellschafter. Der Konzern muss konsequent auf profitables Wachstum getrimmt werden – nicht auf halbgare Sparprogramme. Sonst läuft man Gefahr, zwischen Amazon auf der einen Seite und Billiganbietern wie Temu oder Shein auf der anderen regelrecht zerrieben zu werden.

Dann bleibt vom einst stolzen Hamburger Traditionshaus bald nur noch der Name – in der Regenbogenpresse.

Dieser Beitrag erschien in ähnlicher Form auch in meinem LinkedIn-Profil und Mark Steier von „Wortfilter“ hat hier meine Analyse aufgegriffen.

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