Der Überraschungscoup war perfekt: Am Dienstag kündigte Facebook die sofortige Einführung von leicht zu erstellenden in-platform Online-Shops an. Die Aufmerksamkeit der Wirtschaftsanalysten weltweit ist ja seit Monaten auf die gigantischen staatlichen Hilfsprogramme gerichtet gewesen. Da konnte Facebook gut im Windschatten der Krise agieren und den richtigen Moment abpassen, um das neue Feature möglichst medienwirksam rauszubringen.
Und die Nachricht erzielte die vorgesehene Wirkung. Wirtschaftsredakteure von großen Zeitungen begannen ihre Texte deckungsgleich damit, wie Facebook mit der neuen Shop-Funktion die „Kräfteverhältnisse im Onlinehandel verschieben“ (FAZ) beziehungsweise „das Geschäft aufmischen“ (Tagesspiegel) könnte, bevor sie dann brav auf die von Facebook in seiner Pressemitteilung hervorgehobenen Vorteile und neue Funktionen eingingen. Vorteile: Kunden aus dem ganzen Facebook-Ökosystem – also auch WhatsApp und Instagram – könnten direkt auf auch für kleinere Händler einfach zu erstellenden Shops zugreifen und bezahlen, ohne erneut einloggen zu müssen. Neue Funktionen: Facebook-User würden nun Produkte aus Live-Videos direkt kaufen können und Treueprogramme von Unternehmen würden demnächst mit Facebook-Konten verknüpft werden.
Alle zitierten dann Mark Zuckerberg, wie er den Business-Case beschrieb: Die Einrichtung eines Facebook-Shops werde für Händler kostenlos sein; Facebook werde lediglich mit einer kleinen Gebühr bei der Bezahlfunktion seine Kosten decken. Denn „wenn wir eine Anzeige wertvoller machen können, weil jemand, der sie anklickt, mit größerer Wahrscheinlichkeit etwas kauft, werden wir mehr Geld mit Werbung verdienen,“ so die allerseits aufgegriffene Annahme Zuckerbergs. Zudem durfte in keinem Artikel der von Facebook geschickt im dritten Absatz der Pressemitteilung platzierte Hinweis darauf fehlen, dass der Social-Commerce gerade in Corona-Krise ein Lichtblick für gebeutelte Kleinhändler sei, die ihre Läden über Wochen haben geschlossen halten müssen.
Kritik? Vergleiche? Fehlanzeige!
Aber leider fehlte weit und breit fast jede Spur von kritischer Auseinandersetzung mit dem Konzept Facebook Shops. Meine Einschätzung ist folgende. Erst einmal: Ja, Facebook hat – allem Gerede zum Trotz, das Netzwerk wachse nicht mehr, sei nicht mehr für Millennials relevant usw. – nach wie vor eine gewaltige Reichweite. Und die Quote der Nutzer, die dort häufig aktiv ist, ist hoch; ebenso der immer bedeutungsvollere Anteil mobiler Nutzer. Es ist also keineswegs falsch, wie FAZ, Tagesspiegel und alle anderen festzustellen, dass eine Erweiterung der Netzwerkfunktionen um E-Commerce große Auswirkungen auf die Online-Handelslandschaft haben könnte.
Die Betonung müsste aber meines Erachtens mehr auf „könnte“ liegen. Und vielmehr darauf, warum es genauso wahrscheinlich – oder noch wahrscheinlicher – ist, dass Facebook Shops überhaupt keine spürbaren Effekte auslösen wird. Vor allem dann, wenn der Vergleich mit GAFA-Genossen Amazon gezogen wird. Facebook wird zum Marktplatz und nimmt es mit dem Bezos-Imperium auf? Das wäre kein Kampf unter Ebenbürtigen. Amazon hat in den für den Online-Handel absolut kriegsentscheidenden Bereichen Händleranbindung, Sortimentierung, Bepreisung, Logistik und Kundenservice einen nun 25 Jahre zurückreichenden Erfahrungsschatz aufgebaut. Amazon verkaufte bereits allerhand online, als Facebook allein dazu diente, in Harvard Kontakte zu knüpfen.
Erfolgsaussichten von Facebook: “Es ist kompliziert”
Weder will ich sagen, dass Amazon mit diesem Vorsprung nie wieder von irgendeinem Konkurrenten einzuholen ist, noch will ich Facebook seine beachtliche Fähigkeit zur Innovation absprechen. Ich stelle aber fest, dass Amazon dank seiner 25-jährigen Unternehmensgeschichte als Händler und Marktplatzbetreiber über ein weltumspannendes Netz von Logistik-Zentren verfügt, die es mit einer eigenen Flugzeugflotte bedient. Amazon ist in der Lage, alles von Einkauf, Vermarktung und Verkauf der Ware bis zu ihrer Zustellung an die Haustür seiner Kunden zu organisieren. Damit hat der Konzern etablierte Marktplätze wie eBay, die nicht ebenfalls alle dieser Stufen so gut beherrschen, bereits in die Schranken gewiesen. Ich bin also – vorsichtig formuliert – neugierig, wie man zur Einschätzung kommt, Facebook könnte hier in absehbarer Zeit ein für zahlende Kunden nur annähernd gleichwertiges Angebot schaffen.
Denn darum geht es: Um den knallharten Wettbewerb um den Konsumenten. Und darin hat Facebook herzlich wenig Erfahrung. Facebook hat nämlich im engen Sinne nur Unternehmenskunden. Die 2,6 Milliarden Nutzer sind eben das: Nutzer. Eigentlich sind diese – oder deren Aufmerksamkeit – sogar die Ware, die Facebook weiterverkauft. Ich bin skeptisch, ob diese Nutzer auf Facebook sind, um einzukaufen. Meiner Einschätzung nach ist nämlich die Mehrheit der User dort, um den Kontakt zu Freunden und zur Familie zu halten. Einige wollen sich dort auch über das Nachrichtengeschehen informieren – obwohl auch sie ausweislich konzerneigener Stellungnahmen eher in der Minderzahl sind, weshalb sich das Unternehmen wieder etwas aus der Verbreitung von Nachrichten zurückzieht. Einige wenige wollen vielleicht etwas von Unternehmen hören und sogar ihre Produkte dort shoppen. Mein Gefühl ist aber, dass die allermeisten Nutzer die Anzeigen und die Corporate Postings eher leicht genervt über sich ergehen lassen in einer Art Tauschgeschäft, um das Netzwerk dann umsonst nutzen zu können. So ziemlich, wie man beim linearen Fernsehen ja immer versuchte, sich möglichst in der Werbepause ein Bier zu holen.
Mehr als eine PR-Aktion?
An den Facebook-User, der sich bereitwillig durch Produktvideos von Unternehmen klickt und dann auch noch direkt die dort angepriesene Ware kaufen möchte, glaube ich eher nicht. Oder: Dass dieser User a) einen relevanten Anteil der Facebook-Reichweit ausmacht und b) mit einer digitalen Marktplatz-Funktion ohne eine dahinterliegende reale Marktplatz-Infrastruktur zu begeistern ist, halte ich für alles andere als ausgemacht.
Insofern: Wenn Facebook es wirklich beabsichtigt, Marktplatz zu werden, sind die Erfolgsaussichten derzeit sehr gering. Wenn Facebook aber mittels medialer Sensation kurzfristig etwas Kapital aus der Corona-Krise schlagen wollte und längerfristig noch ein Argument schaffen wollte, warum seine Unternehmenskunden für teures Geld dort Werbung schalten sollten, dann ist der Erfolg bereits erzielt worden.