in Digital-Guests, Markus Peter

Ein Gastbeitrag von Markus Peter

Kundenzentrierung. Ein Mantra, das vielen mittlerweile geläufig ist. Es ist der gedanklich, strategische Schwenk weg von der Fokussierung nach innen und auf’s Produkt, hin zu den Bedürfnissen des Kunden. Ausgehend von diesen Bedürfnissen muss dann rückwärts entwickelt werden, zu digitalen Lösungen und zu einem Operating Model, dass die Entwicklung, den Betrieb und die Skalierung dieser Lösungen ermöglicht.

‘You’ve got to start with the customer experience and work back toward the technology – not the other way around.’ Steve Jobs

B2B-Unternehmen schauen oft auf diese Anforderung und zucken resignierend mit den Schultern. Im Gegensatz zu vergleichsweise homogenen Zielgruppenstrukturen im B2C, müssen sich diese Unternehmen mit zum Teil hochkomplexen Buying Centern auseinander setzen. Eine Vielzahl von Rollen, Perspektiven und Zusammenhängen müssen über oft mehrmonatige Entscheidungs- und Kaufzyklen begleitet werden. Und vor allem ist die Perspektive des Endnutzers in einigen Fällen in diesem vielschichtigen Stakeholder Paket noch nicht einmal vertreten – muss aber natürlich am Ende im Zentrum der Lösungen stehen.

Wie lässt sich also in diesen komplexen Strukturen Kundenzentrierung sicherstellen?

Zwei Methoden, die schon Eingang in die Arbeit vieler Unternehmen gefunden haben, sind der Value Proposition Canvas und das Customer Journey Mapping. Erster ermittelt das grundlegende Wertversprechen eines Unternehmens oder eines Produkts ausgehend von Aufgaben, Pains und Gains einer Zielgruppe. Letzteres versucht einen relevanten Prozessabschnitt einer Zielgruppe, z.B. die Interaktion mit einem Unternehmen oder einem Service detailliert zu beschreiben und so Maßnahmen aufzuzeigen, die entweder neue Mehrwerte erschaffen oder negative Kundenerfahrungen eliminieren.

Beides sind wichtige Werkzeuge. Doch an einer Stelle bohren sie für echte Kundenzentrierung nicht tief genug: Was sind die wirklichen Empfindungen und Bedürfnisse der Zielgruppe? Was liegt hinter den ersten vordergründigen Interessen und Verhaltensweisen?

Die für diesen Anlass geeignete Methode Empathy Mapping ist der Schlüssel. Ich habe mich dazu mit User Experience Experte Dustin Meißner unterhalten.

Worum geht es beim Empathy Mapping?

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Dustin Meißner: Empathy Mapping hat seinen Ursprung im Design Thinking — und ist nichts anderes, als ein methodisches Framework, um in das Erleben und Verhalten eines Nutzers oder eines Kunden tiefer einzutauchen. Ziel ist es, Pain and Gains abzuleiten – aber auch konkrete Grundregeln für Strategie, Konzept und Design. Es hilft aber auch dabei, in der Organisation ein Commitment zu schaffen, sich immer wieder auf die Bedürfnisse der Kunden zu fokussieren. Ausgehend von einer Verhaltensrolle, einem Kundenarchetyp oder einer Persona versetzt man sich emphatisch in diese Kundenrolle hinein und definiert konkrete Handlungsziele in verschiedenen Phasen, in denen sich der Kunde befindet.

Der Clou ist: eine Zielerreichung ist natürlich von vielen Faktoren abhängig:

  • Was beeinflusst den Kunden bei seiner Zielerreichung?
  • Was benötigt er, um sein Verhaltensziel zu erreichen?
  • Was sieht der Kunde auf seinem Weg der Zielerreichung?
  • Was praktiziert der Kunde und wie verhält er sich, um sein Ziel zu erreichen?
  • Was sagt die Person, wenn sie versucht ihr Ziel zu erreichen?
  • Was hört der Kunde dabei (z.B. Feedback, oder andere Touchpoints)?

All diese Fragen gilt es zu beantworten — um schlussendlich Pain & Gains zu identifizieren: wodurch wird die Person blockiert bzw. was sind Hürden in der Zielerreichung? Und zum anderen: was sind Potentiale, die ausgebaut werden können nach der Idee des “Stärken stärkens”, aber auch die Überlegung, wie man identifizierte Pains lösen kann.

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Warum ist das tiefere Verständnis der Zielgruppenbedürfnisse so wichtig, zum Beispiel bei der Entwicklung digitaler Services?

Dustin Meißner: Das Zeitalter ist vorbei, Produkte zu entwickeln, die nicht nah am Kunden und seinen Bedürfnissen sind und trotzdem erfolgreich sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass solche Produkte sukzessive aussterben – das können wir auch beobachten. Das Aussterben von Konzepten, wie Karstadt oder Kaufhof ist nur ein Beispiel. Dem gegenüber stehen nutzerzentrierte digitale Produkte, die wirkliche individuelle Probleme lösen und Potentiale erkennen, dem Kunden das Leben lebenswerter zu machen — Airbnb, Spotify, Google, oder auch ein About You. Nur, wer die Motive und Bedürfnisse seiner Kundschaft kennt und bewusst sein Produkt danach ausrichtet, wird Produkte kreieren können, die wirkliche positive Erfahrungen schaffen.

Was ist bei der Erstellung einer Empathy Map zu beachten?

Dustin Meißner:  Wie der Name es schon sagt: Empathy Mapping ist ein Tool, dass sich auf die Empathie, sich in einen Kunden hineinzuversetzen stützt. Aber der Trugschluss ist, sich allein auf seine emphatischen Fähigkeiten zu berufen. Ein Empathy Mapping ohne eine valide Datengrundlage ist gefährlich. Es sollte daher immer darauf geachtet werden, qualitative und quantitative Forschungsmethoden vorher einzusetzen.

Empathie ist erst einmal eine menschliche Fähigkeit, die individuell unterschiedlich ausgeprägt ist — und wenn wir ehrlich sind: manchmal verstehen wir uns ja selbst nicht mal. Bei Freunden, Familie und Arbeitskollegen wird es noch schwieriger. Und jetzt versuchen wir uns in einen Nutzer hineinzuversetzen, den wir kaum kennen? Empathie ist ohne Zweifel eine ziemlich wichtige Fähigkeit. Der Königsweg ist aber, wissenschaftliche Erkenntnisse über das Erleben und Verhalten als Grundlage zu nutzen. Dann ist die Methode ein ziemlicher Game-Changer und unglaublich effektiv.

Heißt das, dass das Empathy Mapping die Value Proposition oder die Customer Journey Map ersetzt?

Dustin Meißner: Ganz im Gegenteil: Empathy Mapping lässt sich hervorragend integrieren. Die Methoden haben unterschiedliche Schwerpunkte. Auch eine Customer Journey Map zeigt Verhaltensschritte -und ziele auf, ist aber besser geeignet, um dedizierte Brüche in der Journey aufzuzeigen (besonders in der Interaktion mit Kanälen und Touchpoints) und ist deutlich näher am Produkt und Service. Mein Tipp: die Grundlage für das Customer Journey Mapping sollte eine Empathy Map und eine Touchpoint Analyse sein – das erhöht die Qualität immens.

Der Value Proposition Canvas geht in eine ähnliche Richtung und beleuchtet auch Pains and Gains – aber nicht so stark im Detail. Eine hervorragende Kombination der Methoden ist daher der Dreiklang: Empathy Mapping, Customer Journey Mapping (inkludiert mit einer Jobs-to-be-done Analyse und Touchpoint Analyse) und schlussendlich ein sauberer Value Proposition Ansatz, der auf Basis dessen entwickelt wird.

Was wären Deine Empfehlung, gerade in Richtung B2B-Unternehmen für konkrete Schritte in dieser Richtung?

Dustin Meißner: B2B Unternehmen haben großes Potential – sie kennen Märkte hervorragend, sind Experten in dem was sie tun und sitzen oftmals auf großen Datenschätzen. Diese gilt es vorab auszugraben und sauber aufzubereiten, um dann in die Tiefenanalyse zu gehen. Ein gutes Fundament für anschließende nutzerzentrierte Methoden. Es mangelt aber aus meiner Sicht an der Fähigkeit, agile Methoden und nutzerzentrierte Ansätze in Prozesse nahtlos zu integrieren. Meine Erfahrung aus anderen Projekten (und gerade bei Klienten aus großen Konzernen) ist, dass es ist unglaublich sinnvoll ist, in kleinen Projekten und Workshops solche Methoden zu verproben und zu vertesten. Wir erhalten immer wieder das Feedback, wie positiv überrascht man sei, einen so guten Output in kürzester Zeit zu produzieren.

Vielen Dank für das Gespräch, Dustin!

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