in Amazon Toolbox, Analyse

Wisst ihr noch, die alte Masche vom Schulhof? „Guck mal da! Siehst du das nicht? Nee, da! Daaaa…“ sagen die einen, während die anderen dem armen Opfer hinterrücks eine böse Überraschung bereiten? (Bei uns wahlweise das Mittagessen aus dem Ranzen klauen oder einen großen Zettel mit „Ich bin doof“ am Rücken befestigen.) Jetzt, wo alle aus der Sommerpause wieder zurückkommen und auch in Bayern und Baden Württemberg die Kinder wieder in die Schule gehen, musste ich daran denken.

Denn in der Ferienzeit ist Amazon ein ähnlicher Trick gelungen.

„Prime Day 2019 Surpassed Black Friday and Cyber Monday Combined!“ posaunte die Überschrift der Konzern-Pressemitteilung zum diesjährigen Seattler Schnäppchenfest. Tenor des Textes: groß, größer, am Primesten. Jeder Absatz strotzte nur vor Zahlen: 175 Millionen Artikel verkauft! Zwei Milliarden Dollar Umsatz an einem Tag! Hunderttausende hiervon, Hunderttausende davon in soundso vielen Ländern! Guckt mal hier! Himmelhohe Zahlen!!

Die Überschriften in den Medien speisten sich erwartungsgemäß daraus: „Amazon Prime Day 2019: Das waren die Top-Seller!“ lautete etwa eine typische bei Computerbild.de. Und keine Frage, die Zahlen sind imposant. Interessanter wären allerdings Zahlen für die Produkte, die Amazon zwar erwähnte, deren Umsatz der Konzern aber nicht bezifferte: nämlich seine eigenen.

„Alexa, How Was Prime Day?“ fragte Amazon selbst in der ersten Hälfte der Überschrift seiner Pressemitteilung – eine Frage, die die zweite Hälfte ja beantwortete (siehe oben). Im ersten Absatz hieß es dann geradeaus: „Prime Day was also the biggest event ever for Amazon devices (…) top-selling deals worldwide were Echo Dot, FIre TV Stick with Alexa Voice Remote, and Fire TV Stick 4K with Alexa Voice Remote.“ Das erwähnten viele der Medien auf dem Amazon-PR-Verteiler auch: Computerbild schrieb auch in einer Zwischenüberschrift, dass „Amazon-Geräte weltweit beliebt“ seien. Doch gerade hier hätte man eigentlich merken können, dass dies die eigentliche Kerninformation war – und nicht, dass „auch andere Produkte, die unter den Zigtausenden Schnäppchen zu finden waren, es den Prime-Kunden angetan hatten“.

Denn hier stellen sich allerhand Fragen, zuallererst: Wie viele Alexas und Fires denn genau? Und warum gibt Amazon hier keine Zahlen bekannt, wo man doch in derselben PM peinlichst genau aufgezählt bekommt, dass in den USA 100.000 Brotdosen, 100.000 Laptops, 200.000 Fernseher, 350.000 Luxuskosmetikartikel sowie 400.000 Bestellungen für Haustierbedarf am Prime Day über die virtuelle Theke gingen? Weil die einzelnen Handelsprodukte strategisch unwichtig sind und das Unternehmen daher offen drüber kommuniziert. Alexa & Co. sind aber als exklusiver Kundenbindungskanal, die das Bestellverhalten von Amazon-Kunden nachhaltig ändern soll, Chefsache – und eben keine Füllmasse in der Zahlenwand.

Eine weitere Frage, die sich daraus ergibt, ist eher rhetorischer Natur: Krass! Die Leute kaufen die Dinger selber? Amazon muss sie nicht verschenken?! Die Antwort hier ist allerdings, dass diese Frage nur wir Commerce-Experten stellen, die wir ja wissen, dass die Kunden mit dem Kauf von Echo-fähigen Devices Amazon den Schlüssel zu ihrem Kaufverhalten in die Hand drücken und dabei auch noch die Haustür sperrangelweit auf lassen. Uns erscheint daher logisch, dass Kunden dafür eine Gegenleistung verlangen (beziehungsweise zumindest nicht dafür selber zahlen wollen) sollten. Aus Kundensicht stellt sich diese Frage aber nicht – oder die Gegenleistung ist klar ersichtlich: Amazon verkauft mir einen günstigeren Flachbildschirmfernseher/Tablet-Computer/Lautsprecher und bietet mir sogar oben drauf auch noch die megapraktische Alexa-Anwendung dazu an, die mein Leben einfacher macht! Geil!

Letztendlich ist es nichts anderes, als der Kuhhandel, den der Kunde mal mehr, mal minder wissend mit Apple und Google (hier in der Variante Android) eingeht: Du kaufst ein Gerät und wir stellen dir einen Betriebssystem zur Verfügung; im Gegenzug wissen wir alles über dich und haben einen privilegierten Zugang zu dir als Kunden. Amazon schiebt sich mit Echo an den Filtern Handy und Desktop vorbei und bindet den Kunden per Gerät direkt an sich. Und da Voice erst am Anfang seiner Entwicklung steht und sicherlich eine immer größere Rolle im Commerce der Zukunft spielen wird (und längst nicht nur im Verkauf von schnöden Waren wie Brotdosen…), ist Amazon mit Alexa ein brillanter erster Zug gelungen, wenn es darum geht, die Kundenbindung auf diesem Schachbrett zu zementieren.

Aber guckt mal! PrimeDayLive in München mit den Fantastischen Vier und Clueso! Guckt ihr? Taylor Swift für Amazon in New York! Ja, guckt, da oben…!

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