Diese Woche erschien bei der New York Times eine sehr schöne Zusammenfassung der Amazon-Eigenmarkenstrategie. Nichts Neues zwar für diejenigen von uns, die der Entwicklung des Konzerns von Berufs wegen seit Jahren auf Schritt und Tritt folgen. Trotzdem aber ein schönes Lesestück sowohl für ein interessiertes Zeitungspublikum als auch für E-Commerce-Interessierte, die sich mal wieder vor Augen führen möchten, wie erfolgreich Amazon mit Eigenmarken mittlerweile ist. Zumal das, was jetzt in den USA aktuell ist, erfahrungsgemäß rund ein Jahr später von Amazon in Deutschland umgesetzt wird. Sei der Artikel also jedem ans Herz gelegt, der in den kommenden Tagen in den Urlaub fährt!
Das Stück erzählt sehr schön, wie das Ganze 2009 mit Akkus der Marke „Amazon Basics“ anfing und so einen Schwung aufnahm, dass Amazon mittlerweile rund 100 eigene Marken listet, wovon rund 60(!) erst im letzten Jahr dazu gekommen sind. Es geht von Hundefutter („Wag“) über Kleidung (z. B. „Spotted Zebra“ für Kids) bis hin zu Möbel (Rivet).
Auch gut herausgearbeitet: Amazons geschicktes Agieren, um Kunden diese neuen Eigenmarken zuzuführen. So werden einige nur an Prime-Mitglieder verkauft, um einen Buzz zu erzeugen, während der Suchalgorithmus und die Amazon-Marketing-Services natürlich ebenfalls eingespannt werden, um die eigenen Produkte prominent auf der eigenen Plattform zu platzieren.
Wirklich interessant wird es für mich bei der Feststellung, dass es Amazon hier auch ums Prinzip geht. Der Konzern hat – wie es Scott Galloway von der New York University im Artikel erfrischend direkt formuliert – die „Einstellung, dass Marken sehr lange einen ungerechtfertigten Aufpreis verlangen konnten, der Kunden über den Tisch zieht“.
Amazon lässt sich auch – konzerntypisch wortkarg – dahingehend zitieren:
„Amazon declined to make any of its executives available for this article, but in a response to a list of questions, the company said its overarching goal is to provide customers a wide range of products and brands. “We take the same approach to private label as we do with anything here at Amazon: We start with the customer and work backwards,” the company said in its statement.“
Der Kunde stand bei Amazon eben schon immer wirklich im Mittelpunkt, während nun andere Händler und Hersteller erst seit ein paar Jahren über „Kundenzentrizität“ faseln, als ob es etwas Neues wäre.
Und hier fielen mir – wie so oft, wenn es um Amazon heute geht – Sätze aus der nun etwas fernen, aber immer noch verdammt aktuellen Vergangenheit ein: 21 Jahre ist der legendäre Shareholders Letter von Jeff Bezos her. So alt also, dass man selbst in den amerikanischen Südstaaten mit ihm ein Bier trinken gehen könnte. Und so alt, dass er einem wie ein vertrauter, äußerst vorausschauender Freund vorkommt.
Hier einige der Lieblingssätze, die dieser Freund auch nach 21 Jahren nicht müde wird, mir zu betonen: „We will continue to focus relentlessly on our customers.“ „Obsess over customers.“ „We are planning to add music to our product offering, and over time we believe that other products may be prudent investments.“
Wer den Brief noch einmal durchliest, braucht sich nicht wundern, dass Amazon nun erfolgreich Eigenmarken vertreibt und diesen Teil des Geschäfts jetzt rasant ausbaut. Denn: Ein Unternehmen, das wirklich „kundennutzenbesessen“ ist, um „Obsess over customers“ einigermaßen sauber ins Deutsche zu bringen, und immer auf der Suche nach anderen „sicheren Anlagemöglichkeiten“ ist, kann folgendes nicht übersehen: A), dass Zahnpasta nun wirklich keine 1,65 Euro kosten muss und der Kunde daher oft einen gehörigen Aufpreis zahlen muss und dass sie b) für viel weniger Geld und dennoch gewinnbringend über die eigene Plattform vertrieben werden kann, wenn da nicht mehr „Colgate“ oder so etwas draufsteht, sondern „Amazon“. So einfach ist das.
Für mich bleibt der Schlüssel aus diesem Satz:
„Therefore, we set out to offer customers something they simply could not get any other way (…) and presented it in a useful, easy-to-search, and easy-to-browse format in a store open 365 days a year, 24 hours a day.“
1997 ging es noch um Bücher. Aber „etwas, was der Kunde sonst nicht bekommt“ kann Amazon mit Eigenmarken anbieten: nämlich hohe Qualität zu einem unschlagbar günstigen Preis. Dass der Konzern den Kunden zu ihrem Glück mit einer kreativen Definition von „easy-to-search“ ein wenig zwangsbeglückt, ist logisch.
„We first measure ourselves in terms of the metrics most indicative of our market leadership: customer and revenue growth, the degree to which our customers continue to purchase from us on a repeat basis, and the strength of our brand. We have invested and will continue to invest aggressively to expand and leverage our customer base, brand, and infrastructure as we move to establish an enduring franchise.“
„Wir werden weiterhin aggressiv investieren, um unseren Kundenstamm, unsere Marke, und unsere Infrastruktur auszubauen und auszuschöpfen.“ Es war, ist und bleibt eine Eroberung mit Ansage.