Wenn ich eines aus meiner Studentenzeit in den USA mitgenommen habe, dann dies: Die Amerikaner verstehen es, eine Show abzuziehen! Keine andere Kultur beherrscht im selben Ausmaß die Verdichtung von teils komplexen Zuständen auf elementare, packende Einzelmomente – im guten wie im schlechten Sinne. In ausgesprochen schlechter Form fiel diese Eigenschaft letztens bei der Erstürmung des Kapitols auf. Etwas positiver gewendet stellt sie die Basis für die wohlverdiente Dominanz US-amerikanischer Serien und Filme dar: Denn sie sind im Schnitt nun einmal einfach besser als das, was in Deutschland und anderswo für gewöhnlich produziert wird.
Dieser Flair in Sachen showmanship fällt nicht zuletzt beim alljährlichen USA-Sportfest Superbowl auf. Da schaffen es unsere amerikanischen Freunde aus einem zum Einschlafen langweiligen Zuschauersport wie Football (Verzeihung an alle, die ihn spielen, aber wir wollen ja hier mal offen und ehrlich sein) eine Riesenshow mit globaler Ausstrahlung zu machen. Wie sie das schaffen? Möglichst wenig tatsächlicher Football und möglichst viel lustige Werbung!
Dafür – und für die Nostalgie nach der Zeit, als ich 19 Jahre alt und mit mehr als 10 Menschen in einem Raum war – gucke ich gern Superbowl. Dieses Jahr hat es mir ein Spot von einem Online-Gebrauchtwagenhändler namens Vroom besonders angetan.
https://www.youtube.com/watch?v=haXc74orwhg&feature=youtu.be
Erst einmal: Großes amerikanisches Kino! Die drastische Inszenierung einer Geiselnahme mit angedeuteter Gewalt – genau richtig viel Nervenkitzel, genau richtig viel Kontroverse, ohne ins Gewaltverherrlichende zu gehen. Meine Aufmerksamkeit hat es auf jeden Fall sofort bekommen.
Zweitens: Es zeugt davon, wie schlecht mittlerweile einige stationäre Einkaufserlebnisse geworden sind, dass sie als gemeingültige Vorlage für solche humoristische Werbungen dienen. Wenn die Druckmittel des Verkäufers auf dem Autohof derart sprichwörtlich geworden sind, dass jeder sofort den Vergleich mit einer gewalttätigen Geiselnahme versteht, spricht das nicht gerade dafür, dass es besonders gut um die branchenübergreifend immer gleichen Argumente des stationären Handels bestellt ist: „freundliche Fachberatung in angenehmer Atmosphäre“ usw.
Ein Auto online kaufen? Mag sich gewöhnungsbedürftig anhören (wobei hierzulande ja jüngst mit Auto1 ein Player an die Börse gegangen ist, der daraus ein riesiges Business gemacht hat). Genauso gewöhnungsbedürftig wie die Vorstellung damals, als ich noch am Babson College studierte, Kleidung und Schuhe online zu bestellen. Da habe auch ich meine Hemden höchstpersönlich bei Brooks Brothers geholt. Aber die Zeiten ändern sich und wir Kunden ändern uns auch – vor allem, wenn das stationäre Einkaufserlebnis zusehends schlechter wird und neue Online-Konzepte es eben besser machen. Zugegeben: Mit einem Stromkabel bin ich zwar noch nicht irgendwo in einem Geschäft malträtiert worden; als besonders freundlich oder auch nur einigermaßen kompetent ist mir aber lange kein angestellter Verkäufer mehr irgendwo aufgefallen.
So zurückhaltend würde jedenfalls ich das formulieren. Die amerikanischen Kollegen würden da wohl nach etwas drastischeren Sprachbildern greifen…