Von Hamburg ins Münsterland bzw. nach Münster zu kommen erfordert immer etwas Durchhaltevermögen, aber das ist es immer Wert. Entweder für spannende Gespräche beim Shopware Community Day oder aber für die am 5.6.2014 zum ersten Mal organisierte „New Deal – Change for Retail“ Konferenz. Gleich am Anfang war es auffällig, wie viele Hamburger unter den Besuchern und vor allem unter den Rednern waren. Vielleicht können wir ja einen Hansestadt Ableger planen, damit wir beim nächsten Mal nicht alle wieder durch die Deutsche Bahn „getrollt“ werden.
Die Konferenz mit der Zielgruppe des stationären (Einzel-)Handels fing mit spannenden Inspirationen durch die Hamburger „Zeitgeistexpertin“ (den Titel will ich auch gerne mal haben) Kirstine Fratz an – eine extrem unterhaltsame Präsentation mit spannenden Denkanstößen, allerdings von der Thematik her doch noch sehr weit von den aktuellen Problemen des Einzelhandels entfernt. Handfeste Tipps gab es im weiteren Verlauf aber noch genug – dazu dann später mehr. Ein ganz besonderes Highlight, das in die Einleitung gehört, war der Vortrag von Prof. Dr. Jens Weidner (Überraschung – ebenfalls aus Hamburg!) – hier wurde Unternehmensführung, Personalführung und „politisches“ Agieren im Konzernumfeld mal wirklich drastisch neu dargestellt. Im weiten Meer der „feel-good Coaches“, „work-life-balance Lover“ und „Namenstanzern“ ist es bei Nahe schon Tiefenentspannung, wenn man jemandem zuhört, der zu 80% ein netter, sozialer und toller Kollege und Boss ist, aber zu 20% den „Arschlochfaktor“ klar beleuchtet und in den Vordergrund stellt. Den Publikumspreis hat er mit seinem sehr unterhaltsamen Vortrag auf jeden Fall gewonnen.
Auch für den stationären Einzelhandel ist die Zeit zum Schmusen lange vorbei und die 20%, die nicht so nett sind, werden durch den ständigen Wandel mehr gebraucht als jemals zuvor. Es gab wieder das gelegentlich seufzen über die bösen Onliner und natürlich auch wieder die noch nicht mal zutreffende Beschwerde des Beratungsklaus (siehe unsere Studie). Insgesamt aber haben sich die Teilnehmer mit der Online Konkurrenz abgefunden und haben sehr, sehr solide Antworten gefunden, die implementiert werden. Handel ist Wandel und wer jetzt als stationärer Händler den digitalen Bereich nicht auf dem Zeiger hat, ist halt Pferdekutschenbauer – genug gute Beispiele für die Integration von digitalen Kanälen für den stationären Einzelhandel gibt es. Hier war die Präsentation über neue Shoppingkonzepte von Johannes Büld (Videro AG) ein Highlight. Seine Firma ist definitiv an spannenden Projekten dran und die Disney Stores mit Konzepten zu versorgen und bei der gesamten Mietung des Times Squares für Microsoft dabei gewesen zu sein erzeugt bei mir schon ein mal mehr wieder einen unbändigen Stolz auf die „hidden champions“ des deutschen Mittelstandes. Hier herrscht keine Angst mehr, sondern ein vermehrter Wille die online Gefahr durch bessere Offline Angebote zu reduzieren. Multi- Uni- Bi- Omin- Quartro- und alle anderen Channel Strategien gehen den Teilnehmern relativ einfach über die Lippen und auf meine arroganten „Digitalkaufmann Sprüche“ über die düstere Zukunft des stationären Geschäfts (natürlich geprägt durch den „Verkaufen Sie Ihre Immobilie so lange sie da noch was für bekommen“ Propheten Alexander Graf) bekommt man schon mal um die Ohren gehauen, wenn Retail denn nun so ein Desaster sei, warum dann MyMüsli, Apple und andere einen Retail- Laden nach dem anderen aufbauen. Chapeau ihr Offliner!
Es werden interessante Fragen gestellt „Warum treibt der Online Handel nicht die Entwicklung im Retail Bereich?“ und gleich Lösungsansätze hinter her geschoben. Möglichkeiten das gesamte Sortiment des Online Shops im stationären Umfeld zu haben werden besprochen. Endgültig fasziniert war ich als das nicht grade für Innovation und Hippness bekannte Unternehmen Walbusch in Form des Co-GFs und Mitgesellschafter Christian Busch sehr beiläufig erwähnt hat, dass das Unternehmen grade Ihren Online Shop neu gelaunched hat. Er meinte allerdings, dass da weniger rot drin ist – das weiss Weiß ist weisser und viel mehr präsent – da können wir keine braunen Bänke mehr in die Filialen stellen“. Wenn also der (Opa-)Herrenausstatter (sorry aber Opa ist es nun mal) mit einer Zielgruppe die nördlich der 50 liegt erklärt, dass seine Filialen sich beim Design des Online Shops orientieren und seine Kundengruppe die Tables für sich entdeckt, dann mache ich mir keine Sorgen mehr über den stationären (Einzel-)Handel, sondern über die armen Online Pure Player, die gar kein Geld verdienen und sich nur über irrationale Private Equity Geldspritzen am Leben erhalten. Der letzten Seitenhieb wurde dann noch mal als knock-out geliefert: „wir haben 95% Eigenmarken – wo der Kunde unsere Ware kauft ist mir eigentlich egal – er kauft immer bei uns“ Das nenne ich doch mal eine Kampfansage an die ,zumindestens teilweise, gescheiterte Eigenmarkenstrategie von Zalando.“
Jetzt aber zurück zum „Fear-Factor“!
Wo bekommen die Leute noch das kalte Gruseln und wo liest man denn in den Gesprächen direkt Angst in den Augen? Da gab es zwei lustige Tendenzen –Hausverwalter und Immobilienbesitzer in C- und B-Lagen sind schon ziemlich am Ende. Hier wird nur leise auf den Vorschlag diese ganzen Läden in Parkplätze und Wohnungen zu wandeln (damit wir nicht noch mehr Handy- und Matratzenläden ertragen müssen) geantwortet: „aber 50-70%(!) der Rendite einer Immobilie komme aus dem Erdgeschoss – alle andern Geschosse darüber bringen einfach nichts“. Tja, das wird entweder ein teurer Parkplatz oder Wohnraum oder die Immobilienbesitzer in B- und C-Lagen stehen sehr, sehr schwierige Zeiten bevor.
Was ist aber die andere Tendenz und der große Angstfaktor? Digital oder Analog? Das übermächtige Monopol von Amazon – nein, abgeklärte Fragen und gute Strategien um diesen Vertriebskanal ein zu binden werden geäußert. Was also dann? Die schwedischen Blauboxen von IKEA und die Eroberung der Innenstädte durch Hot Dog Stände mit angeschlossenen Möbelhäusern? Nein – die Leute in Altona wollen doch auch Hot Dogs essen gehen und überhaupt bringt das Leute in die Innenstadt und so…. Was ist dann hier der Alptraumpreisgewinner? PRIMARK – das (neue) Schreckgespenst am Retail Himmel. Da sagen dann selbst Vertreter von Sweatshop Fashion Unternehmen die sich nach US/Mexikanischer Fast Food benannt sind, Sachen wie „deren Kleidung würde ich noch nicht mal zum schlafen anziehen“. Weiterhin erfährt man interessant Fakten. Als ein PRIMARK in der Innenstadt eröffnet hat ist bei der besagten Burrito Fashion Chain Filiale der Umsatz für die nächsten 12 Monate um 50% gestiegen. Dies kam daher, dass so viel mehr Leute in die Innenstadt gekommen sind um die €3 T-Shirts von PRIMARK zu erwerben. Das macht den andern dann doch Angst. Oder ist PRIMARK jetzt doch die Rettung der Innenstädte, weil alle anderen von den Heerscharen der preisgeilen Shoppingteenies profitieren? Wir werden sehen. Jedenfalls scheint der Nervosität über die Online Entwicklung doch der Angst vor neuen, analogen Geschäftsmodellen gewichen zu sein.
Die Einsichten in die Entwicklung von Conrad und Babyone sind mir sogar einen gesonderten Post wert – die beiden Unternehmen haben spannendes vorgestellt.
Als Teaser Zitate für die nächsten Beiträge verrate nur so viel:
„Wer eCommerce betreibt braucht Marge“ – Conrad
„Goldgräber Zeit wird bald vorbei sein (In Bezug auf Online Venture Capital/Private Equity Funding für Mitbewerber)“ – Conrad
„Noch sind die Besucher in den Filialen eine graue Masse – aber nicht mehr lange!“ – Conrad
„Wir brauchen 3.000 Geburten im Umkreis von einem Babyone.“
„Die 100 Filialen werden wir noch vollmachen.“ Babyone
Das Fazit also: egal ob in Münster oder Hamburg, das war eine super Konferenz mit spannenden Einsichten. Hoffentlich im nächsten Jahr wieder!