Ein Interview-Experte für digitale Geschäftsmodelle Nils Seebach zum Potenzial der eHealth-Start-ups
„Bisher haben die Pharmaunternehmen vor allem ihre F&E-Aktivitäten auf hübschen Facebookseiten, in schickeren Datenbanken für Endkunden oder schönen Konferenzen präsentiert. Jetzt aber fängt man an, darüber nach zudenken, ob man anders als bisher mit seinen Kunden kommunizieren muss, und ob abseits der Wirkstoffentwicklung neue Geschäftszweige entstehen können.“
Herr Seelbach, Sie haben das „Healthcare Innovation Weekend“ konzipiert und initiiert, mit welchem Ziel?
In den letzten Jahren hat sich das Leben von Menschen durch Smartphone, Facebook, Twitter und Cloud Computing erheblich verändert. Wir möchten diese Innovationen der digitalen Branche mit der Healthcare-Industrie verbinden.
Wie hat sich die Suche nach den Event-Sponsoren gestaltet?
Insgesamt ist die Innovationsbereitschaft in dieser Branche sehr hoch. Unternehmen wie Boehringer Ingelheim erkennen immer klarer, dass auch die Wertschöpfungskette im Gesundheitsbereich durch die Digitalisierung verändert wird. Da müssen Unternehmen mit innovativen Konzepten reagieren, und deshalb hat uns Boehringer Ingelheim auch gern unterstützt.
Mittlerweile wird unser Konzept dort auch bei Firmenveran- staltungen und Innovationsworkshops genutzt. Wir sind im Moment aber noch auf der Suche nach Sponsoren für das im Herbst geplante „Healthcare Innovation Weekend“ in Berlin.
Was passiert nun mit den ausgearbeiteten Geschäftsmodellen der Teilnehmer? Provokativ ge fragt – werden die Start-ups nicht ausgenutzt? Erst unterstützt man ihre kreativen Ideen, und dann wird das Ergebnis von Pharmafirmen aufgekauft? Oder gibt es tat sächlich eine Win-Win-Situation für alle?
Ich denke, dass hier ganz klar eine Win-Win Situation besteht. Die Start-ups nutzen die Sponsoren und Veranstaltungsteilnehmer als Testkunden und erhalten unheimlich viel Input. Für Übernahme oder Kauf sind die- se Unternehmen viel zu klein – es geht hauptsächlich darum, Unterstützer im Pharmabereich zu finden. Die Pharmaunter- nehmen wiederum lernen viel von der Innovationsfreude der Gründerinnen und Gründer. Hier ist noch nicht einmal die Idee des Start-ups relevant, sondern eher der Innovationsprozess und der Umgang mit digitalen Neuerungen.
Sie selbst haben sich auf die Beratung von Unternehmen zu digitalen Geschäftsmodellen spezialisiert. Wie ist Ihr Eindruck bei den digitalen Dienstleistungen von Pharmaunternehmen?
Pharmaunternehmen stehen noch am Anfang der Digitalisierung. Andere Branchen, wie zum Beispiel Handel oder Tourismus, wurden bereits durch die Digitalisierung komplett verändert. Die Pharmaindustrie hat aber viel Zeit gebraucht, um zu reagieren. Verglichen mit den bereits durch die Digitalisierung geprägten Unternehmen sind die bisherigen Vorbereitungen der Pharmafirmen im besten Fall rudimentär.
Welche Gesundheits-Apps nutzen Sie persönlich und warum?
Ich selber benutze die App „Weight Diary“ und einen Schrittzähler, da ich beruflich viel in Büros bin und reise, und daher meine persönlichen Gesundheitsindikatoren wie Gewicht und Bewegung gern genau im Auge behalte. Dieser Trend wird sich in nächster Zeit noch verstärken, schließlich trägt mittlerweile fast jeder von uns einen Hochleistungsrechner in der Tasche, der Werte erfassen und analysieren kann.
Was macht eine gute App für Ärzte und Apotheker aus?
In Fachkreisen spielen zum einen mobile Nachschlagewerke und Informations-Apps wie „The Merck Manual“, „Best Practice“ oder „Arzneicheck“ eine wichtige Rolle. Zum anderen gibt es einige Anwendungen, wie „iRep” oder „iShowPlayer“, die Pharmaunternehmen den Vertrieb erheblich vereinfachen. Bei der Vielzahl von Möglichkeiten gibt es allerdings keine allgemeine Formel für die perfekte medizinische App.
Es gibt derzeit sehr viele kleine und junge Start-ups, die sich mit Gesundheits-Apps auf dem Markt behaupten wollen. Was würden Sie diesen Geschäftsleuten raten?
Mein Rat ist: Macht weiter – Ihr seid schneller und innovativer als die etablierten Unternehmen am Markt! Die Entwicklung des Gesundheitsmarkts steht erst am Anfang. Wie man durch das Investitionsvolumen von Inkubatoren wie zum Bei- spiel „Rock Health“ in den USA sehen kann, wird das Investitionsvolumen und die Bereitschaft, in Start-ups zu investieren, in den nächsten Jahren noch erheblich steigen.
Wie sehen Sie die Zukunft von eHealth, was sind die Trends?
Konsumenten werden die etablierten Unternehmen vor sich hertreiben. Daten, Analysen und Gesundheitsinformationen werden genauso verfügbar und nutzbar sein müssen, wie Konsumenten es bereits jetzt aus anderen Sparten, wie etwa E-Commerce, gewöhnt sind. Zudem sind die traditionellen Vertriebswege von Pharmaunternehmen im B2B-Bereich veraltet und ineffizient, diese müssen erneuert werden.
Herr Seebach, vielen Dank für das Gespräch.
mobile health 3/12