in Entrepreneur Radar

Schon vor Jahren haben wir bei Etribes für uns herausgefunden: Mit Familienunternehmen geht die Digitalisierung oft etwas leichter, da hier klare Führungsstrukturen und vor allem ein wirklich langfristiges Interesse am Weiterbestand des Unternehmens vorherrschen. Denn zwischen einem Kernprinzip des Digitalen, auf das wir Unternehmen eingeschworen haben – „Macht euch darauf gefasst: Ihr müsst neunmal scheitern, bevor euch etwas einmal gelingt“ – und der Fähigkeit von Familienunternehmen, aus Glauben ans Konzept und Verbundenheit mit der Firma auch mal lange Durststrecken durchzuhalten, spannt sich ein Band. Es ist ein Band, das es zu einem (legitimer-, aber in diesem Fall unheilvollerweise) auf seine Karriere bedachten Managers so nicht gibt. So sagen wir mittlerweile: Die digitale Transformation ist nicht delegierbar! Das müssen Leute angehen, die Eisen im Feuer haben – sprich: Die Inhaber.

Nur: Einigen Familienunternehmen fehlt hier der Blick für ihre eigene Stärke oder ganz einfach der Mut der eigenen Courage. So habe ich die letzte Kolumne von Klaus Schweinsberg im Manager Magazin sofort und fast bis zur Unkenntlichkeit mit Markierungen überzogen, um es dann herauszuschneiden und passagenweise auswendig zu lernen. Denn er bringt unter dem Titel „Mach dein Digitalding“ dieses Dilemma, das wir im Beratungsgeschäft täglich erleben, bravourös auf den Punkt. Hier einige besonders brillante Formulierungen:

„Es heißt: Digitalisierung ist Chefsache. Falsch! Das ist zu kurz gesprungen. Digitalisierung muss – zumindest im Mittelstand – Sache der Inhaber sein.“

„Ebenso ist klar, dass der Weg zum digitalen Erfolg ein Langstreckenlauf ist. Kurzum: Das Scheitern kommt kurzfristig, der Erfolg – wenn überhaupt – erst nach vielen Jahren. Warum also soll ich als Manager ins Risiko gehen, wenn die Lorbeeren eh mein Nachfolger oder Nachnachfolger erntet? Warum sehenden Auges Misserfolge produzieren, wenn etwaige Erfolge allenfalls nach meiner Amtszeit zu erwarten sind?“

„Wer heute in seinem Aufsichtsgremium nicht mindestens einen, besser zwei echte Digitalexperten hat, handelt grob fahrlässig.“

„Am besten wäre es, Unternehmerfamilien setzten die nachwachsende Generation darauf an. Familien müssen aus dem Herdentrieb ausbrechen, der die Damen und Herren Nachfolger mit Vorliebe an die Uni St. Gallen, die WHU in Koblenz, die ZU Friedrichshafen oder gar nach Bielefeld leitet, wo der Nachwuchs vornehmlich mit Wissen vom Typus BWL 1.0 auf hohem Niveau gelangweilt wird. Wache Unternehmerfamilien 4.0 müssen ihre Erben enthusiasmieren, sich der digitalen Zukunft zu stellen.“

Was Schweinsberg hier so grandios wie bissig ausformuliert, sagen wir – vielleicht mal etwas weniger geschliffen – seit Jahren. Und wer etwa „grob fahrlässig“ zu plakativ findet und journalistische Zu- bis Überspitzung wittert, dem sei mein neuerliches Gespräch mit Familienunternehmer und Digitalpionier Boris Thomas empfohlen. Auszug, wie er über Verbandstreffen in seiner Branche (Matratzen und Betten) berichtet:

„Manchmal war es für mich schon erschreckend – ich muss es so sagen – wie wenig manche gestandenen Unternehmer wissen. Die haben mitunter gar nicht verstanden, warum Amazon so erfolgreich ist. Da denke ich mir: Kümmert euch!“

So hat meiner Meinung nach Schweinsberg ins Schwarze getroffen. Nichtsdestotrotz bin ich immer ein Freund von Erfolgsbeispielen im Sinne der Problemlösung und einer positiven Einstellung. Deswegen wollte ich hier kurz ein paar Beispiele erwähnen, die zeigen, dass mancherorts seine Diagnose bereits aufgefasst worden ist und die Behandlungsvorschläge nun umgesetzt werden.

Dass es zum Beispiel die Otto Gruppe noch in der Form, Größe und Vitalität gibt, führe ich darauf zurück, dass sich die Eigentümerfamilie (für den deutschen Mittelstand vergleichsweise) schnell darüber im Klaren war, was ihnen die Digitalisierung abverlangen würde. Seitdem ist viel gespöttelt worden – wahlweise über die angebliche Träge des Hamburger Konzerns oder über aktionistisch anmutende Culture-Transformation-Sachen wie die Einführung des Radikalduzens. Das trübt den Blick dafür, dass es beachtliche Erfolgsgeschichten gibt, die es so ohne die Überzeugung und Einsatz der Inhaberfamilie nicht gegeben hätte. Sie waren es, die die Transformation einleiteten – und sie waren es, die einem Jungunternehmer wie Tarek Müller viel Vertrauen und viele Freiheiten einräumten. Das Ergebnis? Otto.de geht es gar nicht so schlecht – und AboutYou geht es blendend!

Ein Familienunternehmen, das den Rat von Schweinsberg umgesetzt hat, „die nachwachsende Generation darauf anzusetzen“, ist der hessische Heizungsbauer Viessmann. 2016 – im 99. Jahr ihres Bestehens – setzte die Traditionsfirma den futuristisch anmutenden Company-Builder Wattx mit ordentlichen Ressourcen und ehrgeiziger Zielsetzung auf – unter der Leitung des 27.-jährigen Nachwuchs Max Viessmann. Kernkompetenzen der Berliner Initiative: UX Research & Design, IoT und Data. All das lernt man sicherlich nicht im BWL-Seminar in Bielefeld!

Ebenfalls in Berlin ansässig und auf die Erprobung von Zukunftskonzepten ausgerichtet: Hermann’s, ein Netzwerk für Food-Innovation – gegründet letztes Jahr vom Keks-Clan-Nachkommen Verena Bahlsen. Zitat: „Nur, wenn wir Menschen in den Entwicklungsprozess einladen, die fernab der Industrie unsere Welt neu erfinden, können wir auf innovative Ideen kommen.“ Ob ein Konzern-Manager, dessen erstes Ziel darin besteht, mehr Leibniz-Kekse zu verkaufen, das so sehen oder sagen würde…?

Zwei andere Beispiele, die mir sofort einfallen, sind an der Schnittstelle Optiker-Dynastie und Wagniskapital zu finden: Ob die Venture-Aktivitäten eines Mark Fielmann oder die innovative Investment-Strategie von Benedict Rodenstock – Dass längst nicht alle im deutschen Mittelstand die Zeitenwende verkennen, lässt sich anhand solcher Beispiele erkennen. Aber es müssten ja schon sehr viele mehr sein, die so handeln. Um es mit einem letzten bereits auswendig gelernten Zitat von Professor Schweinsberg zu sagen:

„Die Digitalisierung ist gerade für Familienunternehmen eine gewaltige Chance. Denn Familien können oft schneller entscheiden als große Aktionariate und langfristiger denken als Dax-CEOs. Allerdings muss die Unternehmerfamilie das Thema Digitalisierung dann auch aktiv besetzen. Dazu bedarf es dreierlei: eines kräftigen Willens, konkreten Wissens und klarer Werte.“

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