Die Amazon-Aktie erlebt zur Zeit einen spannenden Höhenflug und wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die magische 2.000$-Grenze überschreiten bzw. hat dies bereits getan. Wobei ich auch nicht unbedingt glaube, dass institutionelle Investoren sich durch einzelne, oft medienwirksam aufgebauschte Aktienpreisgrenzen derart beeinflussen lassen. Den Preis könnte man doch durch einen einfachen Aktiensplit wieder auf die Hälfte kriegen…
Nun ja, aber jetzt zum eigentlichen Thema heute: Die Amazon-Aktie. Wie jeder Überflieger an der Börse kommt auch sie nicht ohne die typischen Bedenkenträger aus. Sogar vormals bullische „Amazon ist eigentlich – egal wie teuer – die einzige sichere Retail-Aktie nach vorne raus“-Investoren kriegen jetzt kalte Füße und wähnen schon die berühmt-berüchtigte Jahr-2000-Silvesterstimmung heraufziehen. Argumentation: Die Bewertung ist zu hoch. Vorher war sie zwar immer viel zu niedrig, jetzt ist Amazon aber auf jeden Fall überbewertet und hat eine Aufholjagd sondergleichen vor sich, um dieser Bewertung gerecht zu werden.
Da ist bei einer grundsätzlichen Analyse nach den allgemeinhin akzeptierten Regeln der Kunst auch sicherlich nichts dagegen einzuwenden. Allerdings weisen fundamentale Unternehmensdaten schon seit vielen Jahren nur noch eine rudimentäre Verknüpfung mit der Entwicklung von Börsenkursen auf. Warum verkaufe ich also meine Amazon-Aktien auf gar keinen Fall, sondern erwarte sogar weiterhin spannende Preisentwicklungen? Hier folgt die Begründung. Nennt es ruhig „The Confessions of an Amazon Fanboy“ – aber tut es bitte nicht damit ab.
- Wie fast immer im Sommer verbringe ich grade meinen Jahresurlaub in den USA. Zahlreiche Trips zu Target, Walmart und Cosco gehören zum Kinder-Entertainment-Programm. Dadurch wird mir immer wieder vor Augen geführt, wie lächerlich der stationäre Retail in Deutschland eigentlich aufgestellt ist. Target und Walmart ermöglichen es ihren Kunden hierzulande, an eine schier unglaubliche Produktvielfalt zu kommen. In USA kann man sich zu vernünftigen Preisen mit wirklich allem eindecken und der Konsument erhält ein One-Stop-Retail-Konzept, das wenig zu wünschen übrig lässt. Zum Beispiel gibt es weiterhin genug Parkplätze und – ja, genau wie man das mal in einer Serie gesehen hat – livrierte Tütenträger, die einem die zuvor bestellte Ware ins Auto bringen (oder aber gleich an die Haustür liefern). Cosco lässt die Metro wie einen Kindergarten aussehen und begeistert nicht nur mit unendlicher Produktauswahl, verschiedenen Gebindegrößen und tollen Eigenmarken, sondern macht auch klar, dass sich die Erträge lediglich aus den Mitgliedsgebühren speisen und ansonsten die Produkte an den Konsumenten ohne Gewinn(marge) weitergegeben werden.
Warum führe ich diese Beispiele auf? Weil der amerikanische Konsument in einem Schlaraffenland lebt. Hier ist stationärer Einkauf noch ein echtes Erlebnis und verknüpft viele der Vorteile von Online-Shopping (wie etwa 24-Stunden-Öffnungszeiten) mit herkömmlichen Retail-Konzepten. In einem Wort: Es gibt ein Service- und Erlebnisangebot, von dem wir in Europa nur träumen können. Und trotzdem: gegen Amazon keine Chance! Denn der Konsument findet das Angebot von Amazon noch besser. Stationäres Geschäft hat den Kunden einfach nicht überzeugen können. Somit hat Amazon nicht nur nichts zu befürchten, sondern hat in einem der am Härtesten umkämpften Märkten der Welt gezeigt, wem Konsumenten jetzt und in der Zukunft vertrauen. - Wenn der Konsument nun also Amazon bedingungslos vertraut, dann kann Amazon nach Belieben nicht nur weitere internationale Märkte erschließen, sondern auch einfach neue Branchen erobern: Banken, Gesundheitsversorgung, Mobilität etc. steht alles dem Unternehmen mit dem besten Kundenzugang offen. Hier ist die Börsenbewertung als relativer Vergleich des Umsatzwachstums sicherlich noch sehr konservativ, da Amazon in diesen Bereichen jeweils noch einzelne Unternehmen aufbauen könnte, die als Rivalen zu den jeweils führenden Unternehmen in der Branche bewertet werden müsste. Rechne ich die Börsenbewertung des Top-Healthcare-Unternehmen, Top-Mobilitätsanbieter und die des – meinetwegen – Top-Schraubenverkäufers zusammen, dann erscheint Amazon noch sehr adäquat eingepreist. AWS, AMS und andere Programme sind ja nur ein Vorgeschmack auf die vielen Möglichkeiten, die ein treuer Kunde so alles bietet.
- Nach eingängiger Auswertung aller Berichte und Aussagen wird Amazon immer noch vornehmlich als B2C-Retail-Firma gesehen, die Produkte verkauft. Und das mag auch sicherlich noch der wichtigste Bereich sein. Aber B2B (Amazon Business) und der gesamte Service-Bereich stehen dem Konzern noch offen. Auch hier wird das Potential noch erheblich unterschätzt.
- Umsatz und Rentabilität sind zwar für Amazon wichtig, aber der eigentlich wichtigste Aspekt im Geschäftsmodell von Amazon wird ebenfalls nicht oft genug beachtet: Das Geschäft von Amazon ist hochgradig Cashflow-positiv. Waren und Leistungen werden erst lange nach Erhalt und Weiterverkauf bezahlt und Marketing wie auch Webservices bedingen keine signifikanten Gegenkosten. Das heißt: Amazon hat fast unbegrenztes Kapital für neue Investitionen oder weitere Akquisitionen zur Verfügung. So schön der hohe Börsenkurs für Amazon ist, so unwichtig ist es für die Finanzierung des Unternehmens. Und das ist ein Vorteil, den nur wenig andere Unternehmen für sich beanspruchen können.
Aus externer Sicht ist Amazon alternativlos!
Das sind die allein aus der Kraft des Amazon-Modells heraus zu begründenden Argumente, die für ein weitaus höheren Börsenkurs sprechen. Was aber mit den externen Faktoren? Nach wie vor ist viel zu viel Kapital am Markt vorhanden. Das wird durch die großherzigen und krisenverängstigten Notenbanken in den Markt gedrückt – und da ist immer noch kein richtiges Ende in Sicht. Wenn Amazon überbewertet sein soll, dann schaut euch doch erst einmal die Bewertungen von Wohnungen in Hamburg, Berlin, London oder New York an. Dagegen ist Amazon ein extrem passives Investment.
Als Investor mit Geld kann ich also die anderen „Asset Classes“ eigentlich vergessen und muss mich nach geschickten Aktieninvestments umschauen. Da ist die Verängstigung sicherlich hoch, da durch die Digitalisierung viele tradierten Investments nicht mehr funktionieren. Metro, ein tolles Investment? Das sind sich die Haniels auch nicht mehr so sicher. Und selbst Tengelmann muss spekulativ bei Wish.com einsteigen, um Kapital von „alten“ Geschäftsmodellen wegzuinvestieren.
Da gebe ich dann doch dem Supergraf in der zweiten Hälfte seines Tweets recht: Wenn nicht bei Amazon, wo bitte dann sonst investieren? Auch die anderen Mitbewerber wie Alibaba oder JD sind zwar gute Investments, aber nicht als direkte Gefahr zu Amazon zu sehen. Diese Unternehmen machen das gleiche wie Amazon in ihren Märkten, aber das bedeutet nicht, dass sie Amazon aus deren etablierten Märkten verdrängen können. Aus externer Sicht ist also sehr viel Geld vorhanden aber es gibt leider nur sehr, sehr wenige wirklich gute Investments. Somit ist Amazon auch bei Investoren als fast alternativlos anzusehen.
Ich wäre aber nicht Digitalkaufmann.de, wenn ich meine in diesem Fall extrem positive Sicht nicht auch „hedgen“ würde. Das Geschäftsmodell von Amazon ist extrem stark und rechtfertigt meiner Meinung nach aus interner sowie externer Sicht eine weitere gute Entwicklung. Allerdings kann sich das Blatt auch wenden, da Amazon mittlerweile eine Marktgröße erreicht hat, die den Konzern klar mit dem Zustand der allgemeinen Wirtschaft verknüpft. Eine Krise in einem oder mehreren wichtigen Märkten würde den Kurs runtergehen lassen. Ebenfalls kommen nicht nur durch Trump und Professoren wie Scott Galloway Aufrufe zur Regulierung und Zerschlagung der großen neuen Tech-Konzerne. Auch hier könnte Amazon durch Eingriffe in die freie Marktwirtschaft erheblich an Wert verlieren. Halte ich das für realistisch? In diesen Tagen ist sogar das Undenkbare schneller Realität, als man umdenken kann. Aber für Amazon als Geschäftsmodell ist es wirklich immer noch Day 1 – und das sieht man dem momentanen Aktienkurs noch nicht an!
[…] Das wäre ja alles nicht so dramatisch, wenn es den „Alt“ Unternehmen im Handel doch mal gelingen sollte sinnvolle Antworten zu finden. Das tun sie aber nicht, wie Nils schön herausgearbeitet hat. „Geständnisse eines Fan Boys“ […]
Ein toller Artikel. Gestatte mir bitte eine Bemerkung zum letzten Absatz:
Wenn der Konzern zerschlagen wuerde, ist davon auszugehen, dass die Summe seiner Teile mehr wert sind, als das ganze. Bei der Zerschlagung von Standard oil 1913 ff war das gleiche der Fall.
EIne Enteignung der Altbesitzer ist eher nicht zu erwarten.
Ein guter Punkt. Also selbst Zerschlagung in Retail, Tech und Advertising wäre eine „gute“ Option wenn jeweils die Kundenbindung erhalten wird.
Ich teile Deine Einschätzung total. Das Unternehmen selbst ist alternativlos und mit noch einer Menge Chancen ausgestattet. Worüber ich allerdings immer häufiger nachdenke ist das Risiko der gesamten Assetklasse Tech-Aktien. Solange das Geld wie Du schreibst nirgendwo anders hin kann ist es da glaube ich noch gut aufgehoben, aber irgendwann wird es wohl deutliche Korrekturen geben und KGVs von 150+ werden wieder seltener. Damit würde natürlich auch eine Aktie wie Amazon in Mitleidenschaft gezogen. Da Du von „hedgen“ geschrieben hast würde mich interessieren, ob Du das für Dein Portfolio konkret auch tust? Meine Überlegungen gehen dabei in Richtung Put auf Nasdaq100… Viele Grüße, Marco
Hi Marco – vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. In der Tat „hedge“ ich nicht durch Short Positionen, sondern habe einen bunten Mix aus Aktien die auf Kapitalgewinne ausgerichtet sind – wie Amazon. Aber auch einige Dividendenaktien die für Cash-Flow sorgen. Ansonsten noch ETFs etc. für die Steuerung. Aus Prinzip mache ich aber keine Shorts und def. keine Derivate. Daher im klassischen Sinn nur diversifiziert aber nicht „gehedged“.