Zum Start in dieses Jahr möchte ich euch mit einer Serie zu einem wichtigen Thema für 2019 beglücken. Wobei das Glück von der Perspektive der Leser abhängt. Es geht um die Bedrohung des hiesigen Gesundheitssektors durch Amazon – mit all seinen Risiken und Nebenwirkungen! Die Akteure in diesem Bereich – vom Apotheker um die Ecke bis hin zu Ärzten und Versicherungsvertretern – sind einem erheblichen Risiko ausgesetzt und benötigen zukünftig ein starkes Nervensystem. Seid also gewarnt: nach der Lektüre können unangenehme Nebenwirkungen wie Angstzustände, Schlafstörungen und krankhaft wiederkehrende Alpträume auftreten! Neben ein paar Erkenntnissen natürlich.
Denn Online-Monopolist Amazon – der größte und wertvollste Händler der Welt, dessen weltweiter Umsatz täglich um mehrere Milliarden wächst – interessiert sich nun für den – deutschen -Gesundheitsbereich.
Ja, das ist als Drohung zu verstehen! Denn es geht hier um das Überleben ganzer Berufszweige.
Gefahr für Apotheken!
Aber warum will der US-Gigant in den deutschen Gesundheitsmarkt vordringen? Aus genau denselben Gründen, weshalb er sich bereits den Buchhandel und das Geschäft mit Filmen und Musik, den Verkauf von Consumer-Electronics, weißen Geräten und Heimwerkerbedarf oder Webhosting und Großhandel vorgeknöpft hat: Weil die Versorgung mit Arzneimitteln und medizinischen Dienstleistungen einen riesigen Markt darstellt, in dem die bestehenden Anbieter aus Sicht des Konzerns ineffizient arbeiten und sich zu hohe Margen genehmigen. Deshalb rechnet sich Amazon hier gute Chancen aus, mit seinem schlankeren Modell den Kunden ein besseres Angebot machen zu können. Denn am Ende ist es klar, dass das wertvollste Unternehmen der Welt den Endkunden mit Abstand am besten versteht und somit erfolgreich in fast jede Industrie problemlos eindringen kann.
Ich weiß, dass ich mich mit solchen Aussagen auf vermintes Terrain wage. Wie jemand, der gerade im Alptraum feststeckt und wiederholt „Nein! Nein! Nein!“ schreit, heulen die Interessenverbände auf, wenn man zum Beispiel das naheliegenste Schreckensszenario Versandhandel vor ihnen ausbreitet. Das hat letztes Jahr der Kassenzone-Kollege Alex Graf erfahren, als er die Frage stellte, wie verzichtbar Apotheken in Deutschland sind und die Widerrede erschallte: „Du hast doch gar keine Ahnung!“ Irgendwie nachvollziehbar: Kein Mensch hört gern, dass er ersetzbar ist. Kein Händler, der in seine Fläche und sein Personal investiert hat und ausgesprochene Produktexpertise besitzt, lässt sich gern sagen, dass genau das vielen Kunden wurscht ist, weil sie zum Anbieter gehen, der billiger verkauft, immer aufhat und auch noch nach Hause liefert. Kein Ladeninhaber, der jeden Monat genau nachrechnen muss, wieviel er sich auszahlen kann (ob überhaupt!), hat dafür Verständnis, wenn man ihm sagt, er nehme eine zu hohe Marge.
Aber so ist nun mal der Sachverhalt. Es gibt keinen Grund, warum stationären Apothekern nicht das blühen soll, was Buchhändlern, Elektronikfachhändlern und allen anderen, die mit standardisierten, austauschbaren Produkten auf einer stationären Fläche handeln, schon widerfahren ist. Das Modell „Apotheke in jeder Einkaufsstraße“ hat vermutlich nur so viel länger (mehr schlecht denn recht) überlebt, weil es bislang einen höheren Regulierungsschutz genossen hat. Im Umkehrschluss ist dieses Modell aber nur zwei oder drei Lockerungen der gesetzlichen Bestimmungen zu Rezepten und Arzneiversand vom Untergang entfernt. Werft bitte nicht nach mir mit dem Glas vom Nachttisch! Den Boten trifft ja keine Schuld.
Logistik kills it all
Dass es Amazon ist, der an diesem Untergang verdienen wird, ist übrigens so gut wie ausgemacht. Woher kommt diese Annahme? Lasst uns eine kleine Konzernaufstellung Stand heute mit einer Kurzfassung der Entwicklung der letzten paar Jahre machen. In Puncto schiere Größe wird nur für Q1 2018 der Umsatz von Amazon in Deutschland auf rund 4,8 Milliarden Euro geschätzt. In der Disziplin Logistik ist der Konzern derart zu Hause, dass etwa eine eigene Flugzeugflotte eingesetzt und die Lieferung per Drohne getestet wird. Amazon bildet Warenbewegungen innerhalb Europas mittlerweile so effizient ab, dass sich Cross-Border-Verschiebungen bereits bei nationalen Preisunterschieden in Höhe von Cent-Beträgen rechnen. In Deutschland werden derzeit elf Logistikzentren sowie sieben Verteilzentren betrieben. Darüber hinaus befassen sich an diversen Standorten Forschungs- und Entwicklungszentren mit neuesten Technologien. Weltweit beschäftigt Amazon 560.000 Mitarbeiter, wobei allein 2017 130.000 neue Stellen entstanden sind. In Deutschland arbeiten rund 12.000 festangestellte Vollzeitmitarbeiter für den Konzern.
Mit eigenen Marken und Produkten unverzichtbar werden
Derweil lassen sich die Leistungen und Produkte Amazons in drei Gruppen unterteilen: Produkte, Services und Prozesse. Das Produktsortiment umfasst schon lange nicht mehr nur Fremdmarken sondern zunehmend auch Eigenmarken wie Happy Belly oder Amazon Basics sowie die Geräteserien Echo, Fire TV und Kindle, die Amazon stärker in den Alltag der Kunden integrieren. Die damit verbundenen Dienstleistungen reichen von Prime Streaming-Diensten für Musik über Video bis hin zu Leihbüchereien. Zuletzt zählen noch Prozesse wie der Hosting Dienstleister AWS zum Leistungsportfolio Amazons in Deutschland. Im Juni 2016 startete zudem Amazon Business in Deutschland, neben den USA damals der zweite B2B-Markt. Zählte das neue Angebot im April 2017 noch 50.000 Kunden, waren es im Dezember 2017 schon 150.000. Anders als in den USA, wo Amazon bereits kleine Krankenhäuser und Städte mit Produkten für den Gesundheitsbereich beliefert, ist Amazon allerdings noch nicht im deutschen B2B-Healthcare Markt aktiv.
Aber wer wollte wetten, dass das so bleibt? Und wer wollte Geld darauf setzen, dass Amazon – mit seiner in Deutschland bereits verfügbaren Infrastruktur – das lukrative B2C-Arzneimittelgeschäft gänzlich den aus dem Boden sprießenden Online-Apotheken überlassen will?
Deshalb folgende Thesen für dieses neue Jahr 2019 und die kommenden 24 Monate
i) Analog zur Akquisition von PillPack in den USA wird Amazon in das deutsche Apotheken Business vordringen.
Im Juni 2018 stieg Amazon mit der Übernahme der amerikanischen Online-Apotheke PillPack in den Medikamentenhandel ein. Mit diesem Schritt geht es Amazon neben der Erweiterung seines Portfolios auch um die Skalierung eines ausgefeilten Geschäftsmodells.
Es ist naheliegend und nur eine Frage der Zeit, dass Amazon in Deutschland bald ebenfalls in das lukrative Apotheken-Business einsteigen wird. Hierzu könnte der Gigant eine bestehende Versandapotheke akquirieren oder aber das Abo-artige Geschäftsmodell von PillPack (siehe ii) in den deutschen Markt überführen, sobald der Versand von verschreibungspflichtigen Medikamenten auch hierzulande zugelassen wird.
ii) Amazon ist mehr als ein Paketversender. Wie bei PillPack wird es einen klaren Kundenmehrwert geben, direkt über Amazon zu bestellen.
Zu der Zielgruppe PillPacks zählen insbesondere alte und chronisch kranke Patienten, die ihre Rezepte online einreichen können. Statt komplette Arzneimittelpackungen zu versenden, verpackt PillPack die Medikamente in der benötigten Dosis und beschriftet diese entsprechend. Ausgebildete Apotheker prüfen den Prozess, um sicherzustellen, dass der Patient genau weiß, zu welcher Tageszeit er welche Arznei zu sich nehmen muss. Die von PillPack versandten Dosen decken jeweils den Bedarf eines Monats ab (mehr hier).
Im Wettbewerbsumfeld der deutschen Versandapotheken, in dem sich bisher kaum ein Marktteilnehmer durch sein Produkt- oder Dienstleistungsspektrum von der Konkurrenz abheben kann, bietet ein solcher Service wie bei PillPack einen klaren Mehrwert für den Kunden. Hinzu kommt weiterer Mehrwert für Amazon-Kunden durch die Einbindung von konzerneigenen Services: So könnten die Echo-Geräte mit Alexa dafür genutzt werden, per Spracheingabe Medikamente zu bestellen. Darüber hinaus wäre es denkbar, vom Arzt verschriebene Rezepte über die Kamera in der mobilen App zu scannen, woraufhin die verschriebenen Medikamente automatisch in den Warenkorb gelangen.
iii) Wie mit Basic Care in den USA bringt Amazon eine exklusive OTC-Eigenmarke auf den Markt.
Im August 2017 hat Amazon in den USA die Marke Basic Care auf den Markt gebracht. Die von Perrigo hergestellte Produktpalette reicht von Ibuprofen bis zu Haarwuchsmitteln. Durch das Anbieten von Arzneimitteln über eine Eigenmarke nutzt Amazon die Vergleichbarkeit und Preissensibilität der Endkunden bei Generika für ein besseres Kundenerlebnis und die Intensivierung der Kundenbeziehung.
iv) Amazon schließt strategische Allianzen mit führenden Herstellern in der Health Technology Branche.
Analog zu der Partnerschaft mit Cerner, einem der weltweit größten Unternehmen für Informationstechnik im Gesundheitswesen, schließt Amazon strategische Partnerschaften mit führenden Unternehmen in der deutschen Pharmaindustrie.
Wem allein die vier Thesen für die kommenden zwei Jahre Schweißperlen auf die Stirn treiben und Wallungen verursachen, dem ist von den längerfristigen Prognosen, auf die ich in #2 und #3 dieser Serie eingehen werde, unbedingt abzuraten. Und wenn ihr ganz tapfer wart und diese bittere Pille ohne zu viele Beschwerden schlucken könnt, dann sehen wir uns hier demnächst wieder für die weiterführende Behandlung!
Interessanter aber schon nicht mehr wirklich neuer Gedanke. Aufgrund der strengen nationalen gesetzlichen Regelungen im Apothekengesetz dürfte eine Übernahme von Versandapotheken allerdings ausgeschlossen sein, derzeit. Was jedoch mit Sicherheit kommen wird, ist dass die Logistik durch Amazon betrieben wird. Allerdings hat da arvarto bereits den Fuss schon in der Tür.
Ich denke auch, dass hier die Logistik ein wichtiger Bestandsteil sein wird. Wie immer bei Amazon wird aber der wirkliche Hebel sein, dass sie das Bedürfnis des Kunden besser verstehen (Preis, Angebot etc.) Daher darf man gespannt sein wie der Eintritte erfolgt und vor allem wann. Das „ob“ sehe ich nicht als relevante Betrachtung :O)
Der Versand von RX-Medis ist bereits erlaubt…und das schon lange!
Das ist ja echt ein Experte, der das schreibt! Nur mal so nebenbei! Ansonsten stimmt da sicher einiges.
Ist aber nicht neu!
Hallo – vielen Dank für den Kommentar. Das es schon lange erlaubt ist stimmt aber bisher noch nicht so erfolgreich umgesetzt – neu auch nicht aber der Eintritt von Amazon in den Markt (Pillpack) in den USA verleiht dem ganzen schon einen neue Dynamik, oder?
Ja, es treibt mir den kalten Schweiss aus den Poren – nicht, weil ich Amazon als Entwicklung ablehne, sondern weil „Big Brother“ klaglos alle Daten einsammeln kann, die meine Mitbürger nicht einmal in meiner vor Ort Apotheke preisgeben.
Wenn der Bürger merken wird, womit er sich seine Bequemlichkeit und den Preisvorteil erkauft hat, wird es wahrscheinlich fürs Gegensteuern zu spät sein. Zu spät wofür genau?
Gesundheit ist ein komplexes Gebiet, das uns alle sehr individuell angeht. Evaluationen und stochastische Betrachtungen können nur einen Querschnitt für das anbieten, was alle Patienten als Kohorte benötigen – aber nicht was ein Patient als Einzelfall braucht. Hier ist bei der ‚Amazonidierung‘ ausschlaggebend, von welcher Qualität das Gesundheitswesen vorher war…
Sollte es kein solches gegeben haben, so wird Amazon eine Verbesserung bringen – sollte es aber auf freiberuflicher Basis individuelle Gesundheitssachleistungen auf hohem Niveau vor Amazon gegeben haben, so wird es für eine grosse Zahl Patienten Nachteile geben. Weil sie nicht ‚Mainstream‘ sind, weil sie aus dem System rausfallen müssen, um Preis und Leistung halten zu können.
Der kalte Schweiss bricht mir aus, weil ich die Dimension für unser solidarisch finanziertes Sachleistungssystem (noch) nicht einschätzen kann – und weil ich nicht weiss, wie weit bei Amazon Solidarität überhaupt abgebildet werden kann…
Ich suche und bin interessiert an den Infos über den Apothekenmarkt und den Einstieg der Plattformgedanken im Gesundheitsbereich, habe jedoch außer den Wiederholungen der „üblichen “ Thesen zu wenig im Netz gefunden. Dies hat drei Gründe:
a. zu viele verstehen den Gesundheitsmarkt zu wenig. Außer dass er klar meßbar ist, hat er eben noch erhebliche Besonderheiten (Verfügbarkeit, Beratung, Interaktionscheck…uvm.), die ihn auch schwer verständlich machen. Es ist eben nicht nur Logistik und Lagerei.
b. PillPack ist für amazon eine gute Übernahme, aber die maschinelle Verblisterung existiert auch in Deutschland – das ist nun wirklich nichts neues und im Gegensatz zu den USA, haben wir eben eine andere Verschreibungs- und Vergütungspraxis… auch dies ist für die meisten Kommentatoren zu kompliziert. Da kann man mit buzzwords schnell mal um sich schlagen, wie man will. Diesen Kundennutzen kann man auch in Deutschland schon über ein Jahrzehnt abrufen – nur die Chroniker außerhalb des Pflegeheimes wollen diesen Nutzen einfach nicht. PillPack ist ein Verblisterer und hat nur auf die zweite Sicht etwas mit Medikamentenhandel zu tun…
c. Ja, basic care ist ein Schuß in den Markt und wird sicher Umsatzanteile ziehen können. Nur haben wir einen komplett anderen Umgang mit Arzneimitteln. Günstige Kleingebinde und 20er Packungen, nicht billigste 100er Packungen für die permanente Nutzung…und noch ist nichts zugelassen.
Sie sind mit ihren 24 Monaten zu schnell! Das wird nicht in den nächsten zwei Jahren passieren.
Es ist mir zu einfach immer und überall in dem „e-Umfeld“ die gleichen Wiederholungen zu lesen. amazon wird kommen, amazon wird die Preise drücken…das ist klar, aber werden sich auch irgendwann Menschen auch anders entscheiden? Gibt es irgendwann ein „zuviel“?
Es klingt zu verlockend für die Versandapotheken, dass amazon sie (endlich) kauft. Eine komplette Branche ist auf diesen EXIT aufgebaut. Das kann man gerne und immer wiederholen – wird es dadurch glaubwürdiger?
nn ma mit buzzwords schnell mal um sich schlagen. Diesen Kundennutzen kann man auch in Deutschland schon über ein Jahrzehnt abrufen – nur die Chroniker außerhalb des Pfelgeheimes wollen diesen Nutzen einfach nicht. PillPack ist ein Verblisterer und hat nur auf die zweite Sicht etwas mit Medikamentenhandel zu tun…
c. Ja, basicare ist ein Schuß in den Markt und wird sicher Umsatzanteile ziehen können. Nur haben wir einen komplett anderen Umgang mit Arzneimitteln. Günstige Kleingebinde und 20er Packungen, nicht billigste 100er Packungen für die permanente Nutzung…
Es ist mir zu platt immer und überall das gleiche zu lesen. amazon wird kommen, amazon wird die Preise drücken…das ist klar, aber werden sich auch irgendwann Menschen auch anders entscheiden? Gibt es irgendwann ein „zuviel“?
Es klingt zu verlockend für die Versandapotheken, dass amazon sie (endlich) kauft. Eine komplette Branche ist auf diesen EXIT aufgebaut. Das kann man gerne und immer wiederholen – wird es dadurch glaubwürdiger?
Gibt es keine anderen Thesen?