in Entrepreneur Radar

In der ersten Folge lernten wir das durch den Corona-Herbst zu Online-Kunden gewordene Rentnerehepaar Meyers kennen – und sahen, wie sie mit Erschrecken feststellten, dass der 10. Dezember in diesem Jahr schon für das eine oder andere Weihnachtsgeschenk zu knapp ist!

Es ist spät geworden an diesem 10. Dezember 2020. Draußen dämmert es; es brennen zwei Adventskerzen neben trocken gewordenen Keksen auf dem bunten Teller; und Günther Meyer bringt seiner Frau Gabriele eine Tasse Kaffee. „Wie läuft es denn, Schatz? Haben wir was zusammen?“.

„Halbwegs. Den Pulli für Melanie habe ich dann doch noch bei einem Händler in Deutschland gefunden, Lieferung am 18. Dezember. Und für Johannes habe ich eine Lösung: Die Klimmzugstange, die er haben wollte, gab es wirklich nirgends mehr. Aber ich habe ihm bei Sport Tiedje einen Gutschein gekauft. Dann kann er es selber nach Weihnachten bestellen.“ „Da wäre ich nicht drauf gekommen!“ sagt Günther, voller Anerkennung für seine erfinderische Ehegattin.

„Nur: Für die Kinder sind Gutscheine blöd. Sie wollen ja über Weihnachten schon etwas zum Spielen haben,“ sagt Gabriele und nimmt das Heißgetränk entgegen. Sie hatte vor ein paar Tagen bei ihrem Sohn Johannes angerufen, um zu hören, was sich die Enkel dieses Jahr wünschten: Torben, 10 Jahre alt, wünscht sich ein bestimmtes Lego-Modell – das Harry-Potter-Schloss. „Du, Mama, dass findet man auf jeden Fall bei Amazon,“ hatte er gesagt. „Ich verstehe ohnehin nicht, warum du da nichts bestellen magst.“ „Aber die Arbeitsbedingungen dort…“ „Ach! So schlimm ist das bei ihnen ja auch nicht, Mama. Mal ganz ehrlich: Die bei Karstadt haben es mittlerweile auch nicht viel besser…“

Der Satz geht Gabriele kurz durch den Kopf, nachdem auf Lego.com, das ganz oben bei Google rangierte, sämtliche Produkte „demnächst verfügbar“ sind – auch das besagte Schloss. Gabriele ahnt zwar, dass das mit Weihnachten zusammenhängen könnte, will das aber prüfen und greift zum Hörer, während sie auf der Seite nach einer Rufnummer sucht. Schließlich heißt „demnächst verfügbar“ doch nicht gleich ,ausverkauft’, oder? Und wenn man direkt vom Hersteller kauft, wird das kein Reinfall sein. „Verflixt! Wo ruft man denn bei denen an? Für ein Spielzeugschloss, das 389,91€ kosten soll, wird man sich wohl beraten lassen dürfen!“ ruft sie entnervt. Erst ganz unten auf der Seite entdeckt sie nach einem gefühlt ewigen Scrollen die Rubrik „Support“. „Schatz, du warst ja Außenhandelskaufmann. Heißt Sup… Sup… Support eigentlich ‚Hilfe‘ auf Englisch. Ja, oder?“ Nachdem sie sich diese Rückversicherung geholt hat, klickt sie auf das Fremdwort zwischen „Über uns“ und „Attraktionen“, dann auf „Kontakt“ – und sieht zuerst „E-Mail-Schreiben“ und „Chatten Sie mit uns“. Erst darunter entdeckt sie die kleine Kachel „Anrufen“.

„Schatz,“ dreht sie sich nochmal zu ihrem Mann um, der schon wieder dabei ist, im Sessel einzunicken, „sind 0800-Nummer eigentlich die kostenfreien? Oder soll man da aufpassen?“ Stille; leises Schnarchen. Dann nimmt sie all ihren Mut zusammen, wählt die Nummer – und legt wieder auf, als sie hört, dass zwar der nächste freie Mitarbeiter für sie reserviert ist, dass die voraussichtliche Wartezeit aber 18 Minuten und 30 Sekunden betrage.

„Warum eigentlich nicht?“ denkt sie sich und ruft Amazon.de auf. „Wenn selbst der Johannes das gar nicht mehr so schlimm findet…“. An der Uni verbrachte ihr Sohn eigentlich mehr Zeit mit Demonstrieren als Studieren, wie Günther fand, und arbeitet jetzt als Sozialpädagoge. So ganz unmoralisch kann er also nicht sein. Bei Amazon gibt sie „Lego Schloss Harry Potter“ ein – und freut sich, als der erste Produkttreffer sofort mit einem Preis von nur 199,99€ angezeigt wird. Als sie aber auf den Artikel klickt – „Schatz, was heißt eigentlich… Gesponsert?“ – liest sie den Zusatz „ohne Lego-Set“ und merkt, dass es sich um ein „LED Beleuchtungsset für Lego Harry Potter Schloss“ handelt. 

Erst als sie bis zum fünften Ergebnis runtergescrollt hat, findet sie den eigentlichen „LEGO Harry Potter Schloss Hogwarts Bauset“. Der wird allerdings ohne Preis angezeigt. Als sie mal wieder all ihren Mut zusammennimmt und darauf klickt – Ihre Mutter hatte ihr immer eingebläut: „Wenn kein Preisschild drauf ist, kannste dir’s eh nich leisten!“ – sucht sie verzweifelt nach dem „Kaufen“-Knopf. Lediglich den Hinweis „Erhältlich bei diesen Anbietern“ findet sie und landet dann auf einer Liste von Händlern mit dubiosen Namen wie „RedCat“, die alle das Modell zu einem stolzen Preis weiter über 400€ anbieten… Gabriele begibt sich auf die Suche nach einer Service-Hotline bei Amazon.de.

Wir sehen: Wenn dieser Tage nicht unbedingt digitalaffine Käuferschichten wie „65+, mittleres Einkommen“ auf die digitale Welt treffen, läuft es alles andere als reibungslos. Von der Anfangseuphorie der Dotcom-Welle – lauter „Silver-Surfer“, die auf eBay tolle Beute „günstig schießen“ – ist nicht viel geblieben in Zeiten von Sponsored Listings und Chat-Lösungen.

In der letzten Folge dieser Weihnachtsserie findet Gabriele ihre digitale Heimat, während Günther weiter vorm Frühabendprogramm vor sich hin döst.

Empfohlene Beiträge
Showing 1 comments
  • AS

    sehr amüsant geschrieben, ich habe es direkt vor meinem geistigen Auge wie es da im Wohnzimmer vor sich geht. Und es wäre auch witzig, wenn es nicht so traurig wäre….