Und so ist Hamburg zu seiner nächsten bundesweit bekannten Bauruine gekommen. Ja, der unfertige Elbtower steht nun wie ein hohler Zahn da – direkt am Eingang zur Stadt, die sich als Tor zur Welt versteht. Und er wird da – so viel ist sicher – in dieser unvollendeten Form noch eine ganze Weile so stehen. Da fällt mir nur ein: I hate to say I told you so…
Denn hier waren zwei Sachen von Anfang an glasklar. Erstens: Die Stadt Hamburg hat die unrühmliche Gewohnheit, in ziemlicher Selbstüberschätzung und unter dem guten Zureden offenkundig dubioser Projektentwickler äußerst risikohafte Großbauvorhaben zu genehmigen, mit denen sie erst einmal auf dem Papier wenig zu tun hat, für die sie aber hinterher für teuer Geld geradestehen muss. Wir erinnern uns zum Beispiel an die Elbphilharmonie, die damals für eine städtische Anschubfinanzierung von lediglich 77 Millionen Euro für insgesamt 186 Millionen Euro in unter drei Jahren gebaut werden sollte – und die letzten Endes erst nach neun Jahren und einer elffachen Kostensteigerung für die öffentliche Hand fertiggestellt wurde. (Ja, die Stadt musste am Ende doch so ziemlich alles bezahlen.)
Diese Wunde war noch nicht ganz verheilt, als ich dann vor rund fünf Jahren vom geplanten Elbtower las. Und einiges kam mir da sehr bekannt vor. Manche lernen’s eben nie. Zwar wollte die Stadt hier besser verhandelt haben: 2019 sprach der damalige Bürgermeister Olaf Scholz vom „härtesten Vertrag“, der alle Risiken von Hamburg fernhalte, und gab keine Finanzzusagen… Aber schon damals monierten viele – einige in seiner eigenen Bürgerschaftsfraktion –, dass Hamburg am Ende wieder mal mit einem halbfertigen Bau dastehen könnte, den es allen Vorsätzen zum Trotz dann doch auf eigene Kosten würde zu Ende bauen müssen. Keine Stadt, die was auf sich hält, kann schließlich auf Dauer mit einer abschreckenden Ruine am Ortseingang leben.
Zumal – und das ist die zweite Sache, die damals, als die Verträge ausgehandelt wurden, bereits erkennbar war – Zumal der Investor Signa schon immer ein höchst dubioser Geschäftspartner war, der sich mit undurchsichtigen Firmenkonstruktionen und abenteuerlichen Finanzvolten über Wasser hielt, während die Substanz seines Geschäftsmodells (sofern je vorhanden) wegbröckelte. Es lag nämlich bereits vor Corona auf der Hand, dass Bau und Vermietung von teurer stationärer Verkaufsfläche keine langfristig rentable Perspektive mehr bot. Doch Herr Scholz sah das anders und ließ sich in Bezug auf René Benkos potemkinsche Firmenimperium so zitieren: „Das Unternehmen ist finanzstark und hat auch der Stadt Hamburg eine Garantie gegeben in ausreichender Größenordnung, sodass wir sicher sein können, dass dieses Haus auch gebaut wird.“
Schon da hätte dem heutigen Bundeskanzler doch klar sein sollen, dass einem Mann, der Karstadt kauft (und sei es nur für einen Euro) kein ausgeprägt solider Geschäftssinn anzudichten sein kann. Und allerspätestens in der Corona-Pandemie war doch nicht mehr zu übersehen, dass sich der Glücksritter mit GaleriaKaufhofKarstadt (oder wie auch immer es diese Woche heißt) in den Treibsand begeben hatte. Dass staatliche Instanzen hier von Unterstützung, Beteiligung oder Kooperation tunlichst absehen sollte, brachte ich damals zum Ausdruck. Doch sämtliche Warnrufe – auch die höchstoffizieller Stellen wie Monopolkommission und Bundesrechnungshof – wurden nicht gehört.
Jetzt ist Ritter René vom Ross runter – und das Kind in den Brunnen gefallen. Als Hamburger und Digitalunternehmer sehe ich das Ganze mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ja, so unschön, wie es ist, immer wieder als mahnende Stimme aufzutreten – als Kassandra qua Amt. So zufriedenstellend ist es auch, zu sehen, dass der Markt doch noch funktioniert. Weder das Warenhaus als solches noch Signa Holding als Unternehmen hatten eine Zukunft: Folgerichtig verschwinden sie (wenn erst bannig spät) vom Markt – und hinterlassen als Souvenir und Menetekel zugleich eine sehr markante Bauruine. Möge sie der Stadt als Mahnung dienen und dazu führen, dass zukünftig nicht auf die alten Hüte gesetzt wird, sondern wirklich wieder der Hamburger Kaufmannssinn im Vordergrund steht.