In gewohnter deutscher Jammerstimme wird mal wieder das mangelnde Wagniskapital in Deutschland durch einen Gastkommentar im Spiegel beweint. In den USA ist es so viel besser, da dort Internet-Milliardäre Ihre Gewinne im Silicon Valley reinvestieren und fleißig neue Firmen schaffen. In Deutschland gibt es diese Kapitalgeber nicht – das führt zu weniger Innovation bzw. keinen führenden deutschen Technologieunternehmen. Laut Artikel sind wir abgehängt und können die weitere Digitalisierung der deutschen Wirtschaft an den Nagel hängen.
So weit so gut aber hier wird getan, als ob durch mehr Investitionen ein „Gründungsautomatismus“ losgetreten wird, der zu Erfolg führt. Fast nur noch lachhaft, ist dieser Paragraph:
„Es (Buch von Netscape Gründer) ist quasi eine Anleitung, was zu tun ist, um erst fünf Millionen Dollar Anschubfinanzierung zu bekommen und damit ein Unternehmen zu basteln, das 500 Millionen wert ist.
Wer allerdings versucht, in Berlin oder Frankfurt am Main ein Start-up hochzuziehen, kann alle Ratschläge und Regeln punktgenau befolgen und hat trotzdem nur geringe Chancen mit Millionen überschüttet zu werden.“
Na dann mal los. Ich bekomme die ersten 5 Millionen und dann steht, bei der richtigen geographischen Gegebenheit, der 500 Millionen Firmenbewertung ja schon nichts mehr im Weg. Schaut man aber mal etwas genauer über den Atlantik als nur auf Facebook und Google, dann wird man schnell feststellen, dass die Venture Capital Industrie viel zu viel in viel zu wenige Unternehmen investiert. Die Industrie hat seit ca. 10 Jahren keine positiven Rendite erzielt und ist somit ein einziges großes Subventionssystem, wo mit dem Feuerwehrschlauch kräftig Geld verteilt wird – vom Geld verdienen und einen gesunden Mittelstand zu schaffen, ist die USA weit, weit entfernt.
Deutschland = Mittelstand!
Ist aber das nicht die wirkliche deutsche Stärke? Ein gesunder Mittelstand der nicht durch völlig verrückte Kapitalverteilung gepushed wird, sondern kaufmännisch solide Werte schafft? Ich gebe zu, dass die USA mit Facebook und Google immer wieder führende Firmen an den Markt bringt – von einer reinen Kapitalrendite auf die gesamte VC Industrie gesehen, können aber auch mit diesen Firmen keine nachhaltigen Rendite erzielt werden. Die neue tolle Zukunft, die vom Autor so herbeigewünscht wird, bedeutet aus der Sicht der gesamten Venture Capital Industrie einen Euro zu investieren, um 50 Cent wieder zurück zu bekommen. Ob das so förderlich für die deutsche Wirtschaft ist?
Was in Deutschland übersehen wird, sind die vielen profitablen Agenturen, S-A-A-S Technologien und B2B Technologieprovider, die jeden Tag Profite erzielen. Hier stehen echte Unternehmer jeden Tag auf und arbeiten unter kaufmännischen Gesichtspunkten daran, ihr Unternehmen profitabel wachsen zu lassen. Diese Unternehmer sind nicht damit beschäftigt Millionen raus zu blasen, um irgendwann einmal eventuelle einen Exit zu fabrizieren. Hier werden wirkliche Werte geschaffen – das ist dann alles nicht so cool wie im Valley, die Jura Kaffeemaschine gibt es auch nicht gleich und vielleicht ist sogar die Hipsterbärtedichte nicht 100% (sondern nur 40%) aber trotzdem habe ich 1.000 mal mehr Respekt vor einem Unternehmer, der gelernt hat Geld zu verdienen und nicht völlig hirnlos aus dem Fenster zu hauen, um auf jeden Fall den nächsten Kategorie Killer zu basteln. Ist es ein deutscher Wert ohne Kapitalrendite irgendwelche Unternehmen zu bezuschussen? Haben die Gründer des deutschen Mittelstandes so das Wirtschaftswunder begründet? Nein – zum Glück wird in vielen Zweigen der deutschen Wirtschaft nachhaltig Geld verdient und nicht möglichst schnell Geld versiebt. Deutschland braucht weiterhin Innovation und führende Technologieunternehmen – aber nicht um jeden Preis und nicht durch unwirtschaftliches Verhalten.
Gründung in Deutschland
Übrigens – seit ich aus den USA wieder in Deutschland bin, habe ich persönlich 19 Unternehmen in Deutschland (mit-)gegründet und bin operativ mit einigen dieser Firmen nach ein paar Tagen ins Geschäft eingestiegen – auf jeden Fall direkt nach dem Notartermin. Wenn hier wirklich die Unternehmensgründung 3 Monate dauert, dann ist der Autor nicht kompetent oder hat noch nicht verstanden, wie man in Deutschland eine GmbH gründet und loslegt. Wer in Deutschland gründen und loslegen will, der kann das auch in wesentlich kürzerer Zeit machen!
Der zweite Kritikpunkt: es kann nicht schnell und einfach Personal abgebaut werden? Stimmt aus meiner Erfahrung auch nicht für Start-Ups da viele der gesetzlichen Regelungen noch nicht für kleine Unternehmen greifen und zweitens geben sich viele, viele US geprägte Investoren nicht die Mühe mal zu ergründen, wie die deutsche „soziale“ Marktwirtschaft so funktioniert. Super Beispiel ist Kurzarbeit – diese wurde nur geschaffen, um Unternehmen die Möglichkeit zu geben kurzfristig auf Probleme reagieren zu können. Auch hier also nur mehr Augenwischerei als wirkliche Probleme.